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Der Verräter von Westminster

Der Verräter von Westminster

Titel: Der Verräter von Westminster Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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Sentimentalität.
    Er hatte Pitt aufgenommen, als man diesen mit Hilfe einer gegen ihn gerichteten Intrige aus seiner Führungsposition in der Hauptstadtpolizei hinausgedrängt hatte. Seine Absicht war es gewesen, dem Mann damit einen Gefallen zu tun, da er eine Familie zu ernähren hatte. Anfangs war er mit Pitt, der weder für die speziellen Bedürfnisse des Sicherheitsdienstes ausgebildet war noch dessen Aufgaben alle vollständig akzeptierte, nicht recht zufrieden gewesen. Doch Pitt hatte alles Erforderliche rasch gelernt, und da er die Eigenschaften eines außergewöhnlichen Kriminalisten besaß, nämlich Beharrlichkeit und
Vorstellungsvermögen, hatte sich Narraways Einschätzung von Pitts Leistungen bald geändert, zumal dieser über ein Maß an Integrität verfügte, das er rückhaltlos bewunderte.
    Obwohl Narraway nach dem Grundsatz lebte, menschliche Gefühle aus dem beruflichen Umfeld herauszuhalten, konnte er Pitt gut leiden.
    Aus all diesen Gründen hatte er ihn vor dem Neid und der Kritiksucht seiner Kollegen geschützt. Einerseits hatte Pitt seine herausgehobene Position mittlerweile mehr als verdient, und zum anderen dachte Narraway nicht daran, sich in seine Entscheidungen hineinreden zu lassen. Inzwischen gestand er sich ein, dass es teilweise auch um Charlottes willen geschehen war. Wenn Pitt nicht zu seiner Abteilung gehörte, gäbe es für ihn keinen Vorwand, sie wiederzusehen.
    »Ich kümmere mich darum«, sagte er schließlich zu Austwick, »sobald ich etwas mehr über das Problem erfahren habe, das uns gegenwärtig beschäftigt. Man hat einen unserer Informanten ermordet, was die Aufgabe zusätzlich erschwert.«
    Austwick erhob sich. »Sehr wohl, Sir. Das dürfte ein guter Gedanke sein. Ich denke, je früher Sie die Gemüter in Bezug auf die Angelegenheit beruhigen können, desto besser. Ich würde vorschlagen, noch vor Ende dieser Woche.«
    »Immer vorausgesetzt, dass die Umstände das zulassen«, gab Narraway kühl zurück.
     
    Wie sich herausstellte, ließen die Umstände es nicht zu. Schon früh am nächsten Morgen wurde Narraway zur Berichterstattung bei seinem politischen Vorgesetzten Sir Gerald Croxdale ins Innenministerium beordert – dem Einzigen, dem gegenüber er zu vollständiger Rechenschaft verpflichtet war.
    Croxdale war ein farbloser Mann von Anfang fünfzig, dem es mit seiner beharrlichen Art erstaunlich rasch gelungen war, in hohe Regierungsämter aufzusteigen, obwohl er weder von
einem der einflussreicheren Kabinettminister in erkennbarer Weise gefördert worden war, noch je im Unterhaus eine große Rede gehalten oder einen Gesetzesantrag eingebracht hatte. Er schien ganz und gar auf eigenen Füßen zu stehen. Sofern er anderen einen Gefallen schuldete oder Dankesschulden einforderte, tat er das so unauffällig, dass nicht einmal Narraway davon wusste. Er hatte nie bemerkenswerte politische Aktionen angestoßen, aber auch, und das war wahrscheinlich sehr viel wichtiger, keine erkennbaren Fehler gemacht. In Politikerkreisen wurde sein Name voller Achtung genannt.
    Zwar hatte Narraway an ihm nie Anzeichen der Art von Leidenschaft bemerkt, die ehrgeizige Männer antreibt, doch war ihm der rasche Aufstieg des Mannes in den Sphären der Macht nicht entgangen, was ihm einen gewissen widerstrebenden Respekt abnötigte.
    »’n Morgen, Narraway«, sagte Croxdale, als dieser sein großes Arbeitszimmer betrat, und wies auf einen wuchtigen braunen Ledersessel. Croxdale war hochgewachsen, breitschultrig und massig. Auch wenn man ihn nicht im herkömmlichen Sinne als gut aussehend bezeichnen konnte, wirkte sein Gesicht doch durchaus eindrucksvoll. Er sprach mit leiser Stimme und lächelte wohlwollend. Wie üblich trug er einen unauffällig gut geschnittenen Anzug und auf Hochglanz polierte schwarze Schuhe. Seinem ganzen Auftreten nach hätte er ohne weiteres der nachgeborene Sohn einer der großen Familien des Landes sein können.
    Narraway erwiderte die Begrüßung und nahm Platz. Er beugte sich leicht im Sessel vor, um Croxdale seine Aufmerksamkeit zu signalisieren.
    »Üble Geschichte, das, der Mord an Ihrem Informanten West«, begann dieser. »Sicher hätte der Ihnen eine ganze Menge über das berichten können, was die militanten Sozialisten zur Zeit planen.«

    »Ja, Sir«, gab Narraway bedrückt zurück. »Pitt und Gower sind nur um wenige Sekunden zu spät gekommen. Sie haben West noch gesehen, aber der war schon wegen irgendetwas in Panik geraten und hatte sich davongemacht.

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