Der Verräter von Westminster
Wem können Sie bei Problemen trauen, die Irland betreffen? Von denen haben wir weiß Gott mehr als genug.«
»In erster Linie muss unser Augenmerk gegenwärtig den sozialistischen Revolutionären auf dem europäischen Kontinent gelten, Sir.« Auch Narraway beugte sich ein wenig weiter vor. »Wir müssen mit ausgedehnter Gewalttätigkeit rechnen. Leute wie Linsky, Meister, la Pointe, Corazath sind allesamt rasch mit Schusswaffen und Sprengstoff bei der Hand. In ihren Augen sind ein paar Tote kein zu hoher Preis für mehr Gleichheit
aller Menschen und ein höheres Maß an Freiheit. Natürlich immer vorausgesetzt, dass es sich nicht um Tote auf ihrer Seite handelt«, fügte er trocken hinzu.
»Und erscheint Ihnen das wichtiger als Verrat in Ihren eigenen Reihen?«, erkundigte sich Croxdale sichtlich erstaunt. Er ließ die Frage zwischen ihnen stehen. Es war klar, dass er eine Antwort darauf erwartete.
Auch wenn Narraway Mulhares Tod als tragisch empfunden hatte, hielt er dessen Aufklärung doch für weniger dringend als die Notwendigkeit, etwas gegen das drohende Unbekannte zu unternehmen. Er wusste, mit wie großer Umsicht er die Herkunft des Geldes verschleiert hatte, denn er kannte die Menschen, vor denen Mulhare Angst gehabt hatte. Er wusste nicht, auf welche Weise jemand es fertiggebracht hatte, das Geld zurück auf sein Konto zu leiten, wie jetzt behauptet wurde. Vor allem aber hatte er nicht die geringste Vorstellung davon, wer dahinterstecken konnte, und ihm war nicht klar, ob es sich dabei um das Ergebnis von Unfähigkeit oder um eine absichtliche Manipulation handelte, die darauf abzielte, ihn als Dieb hinzustellen.
»Ich bin noch nicht sicher, ob es sich wirklich um Verrat handelt, Sir. Vielleicht habe ich das Wort vorschnell benutzt«, sagte er mit betont gleichmütiger Stimme, ohne verhindern zu können, dass sie ein wenig rau klang. Er hoffte, dass Croxdales Ohren weniger empfindlich waren als seine eigenen und er nichts davon mitbekam.
Dieser sah ihn aufmerksam an. »Und was wäre dann das richtige Wort?«
»Unfähigkeit«, gab Narraway zur Antwort. »Wir haben die Herkunft des Geldes mit größter Sorgfalt verschleiert, damit niemand von Irland aus es zu uns zurückverfolgen konnte. Jede einzelne der Transaktionen sieht aus wie ein gewöhnlicher Überweisungsvorgang bei einem Handelsgeschäft.«
»Jedenfalls haben Sie das bisher angenommen. Trotzdem ist Mulhare umgebracht worden. Wo befindet sich das Geld gegenwärtig ?«
Narraway hatte gehofft, ihm das nicht sagen zu müssen, aber vielleicht war es von Anfang an unvermeidlich gewesen. Unter Umständen wusste Croxdale das auch bereits, und seine Frage war nichts als eine ihm bewusst gestellte Falle. »Austwick hat mir gesagt, dass es sich auf einem Konto befindet, das ich schon längere Zeit nicht mehr benutzt habe«, gab er zur Antwort. »Ich weiß nicht, durch wen es dorthin gelangt ist, werde das aber feststellen.«
Croxdale schwieg eine Weile. »Das tun Sie bitte, und zweifellos werden Sie unwiderlegliche Beweise vorlegen. Es eilt, Narraway. Wir brauchen Sie und Ihre Fähigkeiten für diese verfluchte Sozialistengeschichte. Es sieht ganz so aus, als ob die Sache ernst wäre.«
»Ich kümmere mich um das Geld, sobald wir die Pläne von Wests Mördern in Erfahrung gebracht und sie vereitelt haben«, gab Narraway zurück, während ihn ein kalter Schauer überlief. »Mit etwas Glück bekommen wir unter Umständen sogar einige der Leute zu fassen und können sie hinter Schloss und Riegel bringen.«
Croxdale hob den Blick und sah ihn scharf an. Mit einem Mal war er nicht mehr der liebenswürdige Herr, der wie ein tapsiger Bär wirkte; er kam ihm eher vor wie ein Tiger, dessen innere Anspannung sich hinter äußerlicher Gelassenheit verbarg. »Glauben Sie etwa, dass sich diese Leute von ihrem Vorhaben abhalten lassen, sobald es auf ihrer Seit eine Handvoll Märtyrer gegeben hat? Da hätte ich mich in Ihnen aber sehr getäuscht. Idealisten gedeihen umso besser, je mehr Opfer für ihre Sache gebracht werden müssen, und wenn das in aller Öffentlichkeit geschieht und dramatisch verläuft, ist ihnen das gerade recht.«
»Das ist mir bekannt.« Die Geringschätzung seiner Urteilskraft durch Croxdale ärgerte ihn. »Ich denke nicht im Traum daran, denen den Gefallen zu tun und ihnen Märtyrer zu liefern. Ehrlich gesagt denke ich auch nicht daran, die Notwendigkeit gesellschaftlicher Reformen und eines gewissen Maßes an Veränderungen zu
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