Der Verräter von Westminster
dann sehen, ob mir meine Schwester für eine Weile jemanden von ihrem Personal überlassen kann, bis ich selbst eine geeignete Haushaltshilfe finde. Ihr Gatte ist Unterhausabgeordneter, und sie führt ein großes Haus. Ich werde mich morgen früh von Ihnen verabschieden.«
»Sehr wohl, Ma’ am.« Mrs Waterman wandte sich der Tür zu.
»Noch eins, Mrs Waterman!«
»Ja, Ma’am.«
»Ich werde Dritten gegenüber nichts über Sie sagen, weder Gutes noch Schlechtes. Daher scheint es mir angebracht, dass Sie mir diesen Gefallen auch Ihrerseits durch Stillschweigen vergelten. Ich darf Ihnen versichern, dass es Ihnen nicht gut bekommen würde, wenn Sie sich nicht daran hielten.«
Mrs Waterman hob leicht die Brauen.
Charlotte lächelte mit eiskalten Augen. »Dienstboten, die sich in einem Hause abschätzig über ihre Herrschaft äußern, werden das auch im nächsten tun. Das ist allen, die Personal beschäftigen, sehr wohl bekannt. Gute Nacht.«
Mrs Waterman schloss die Tür, ohne ihr zu antworten.
Charlotte ging ans Telefon, um Emily anzurufen und sie zu bitten, ihr möglichst umgehend eine Aushilfe zu schicken. Es überraschte sie ein wenig zu sehen, dass ihre Hand zitterte, als sie nach dem Hörer griff, um ihn vom Haken zu nehmen.
Als sich die Vermittlung meldete, nannte sie ihr Emilys Nummer.
Die Verbindung wurde hergestellt, und es klingelte einige Male am anderen Ende, bis der Butler abnahm.
»Bei Mr Radley. Was darf ich für Sie tun?«, fragte er höflich.
»Hier spricht Mrs Pitt. Es tut mir leid, Sie so spät zu stören. Bei uns ist eine Art Notfall eingetreten«, sagte Charlotte entschuldigend. »Dürfte ich bitte mit Mrs Radley sprechen?«
»Ich bedaure außerordentlich, Mrs Pitt«, gab er zurück, »Mr und Mrs Radley befinden sich auf einer Reise nach Paris und werden erst am Wochenende zurück erwartet. Könnte ich etwas für Sie tun?«
Eine Art Panik überfiel Charlotte. An wen sonst konnte sie sich um Hilfe wenden? Ihre Mutter war mit ihrem zweiten Mann Joshua, einem Schauspieler, nach Schottland gereist, weil dieser ein Engagement am Theater von Edinburgh hatte.
»Nein, vielen Dank«, sagte sie ein wenig atemlos. »Ich denke, dass ich eine andere Lösung finden kann. Vielen Dank für Ihre Mühe. Gute Nacht.« Sie hängte rasch auf, bevor er etwas sagen konnte.
Sie stand im stillen Wohnzimmer vor dem Kamin, in dem die letzte Glut verlosch, weil sie keine weiteren Scheite aufgelegt hatte. Unbedingt musste sie bis zum Abend des kommenden Tages jemanden finden, der sich um Daniel und Jemima kümmerte, weil sie sonst Narraway nicht begleiten konnte. In dem Fall aber hätte sie keine Möglichkeit, ihm zu helfen, und er würde in Dublin allein sein, durch den Umstand behindert, dass ihn seine Feinde dort kannten. Sein Aussehen und Auftreten waren so auffällig, dass man ihn auch nach zwanzig Jahren kaum vergessen haben dürfte. Ganz davon abgesehen vergaß Hass nie, ganz gleich, ob zwanzig oder fünfzig Jahre vergingen. Bisweilen wurde er sogar von einer Generation zur nächsten weitergegeben, ein Vermächtnis, so schlimm wie die Veranlagung zu einer Erbkrankheit.
Über den Mordfall im Buckingham Palace hatte Pitt ihr damals nur wenig gesagt, doch wusste sie, hauptsächlich durch Dinge, die er ausgelassen hatte, dass seine Lösung des Falles den Prinzen von Wales sehr verärgert hatte, weil dabei dessen
Schwächen mehr oder weniger öffentlich bekannt geworden waren. Schlimmer noch war, dass bei dieser Gelegenheit außerdem ein schwerer Irrtum des Prinzen zur Sprache gekommen war, und zwar in Gegenwart der versammelten Höflinge – und natürlich, was erst recht unverzeihlich war, der seiner Mutter, der Königin Viktoria.
Wenn der Prinz von Wales auf Jahre hinaus Pitt seine Feindschaft spüren ließ, würde es diesem nicht im Geringsten nützen, dass ihn die Königin einige Minuten lang zu schätzen gewusst hatte.
Dass Narraway von Anfang an seine schützende Hand über Pitt gehalten und ihn de facto zu seinem Stellvertreter gemacht hatte, während offiziell Austwick diese Position bekleidete, hatte zu Missgunst und hin und wieder auch zu Befürchtungen geführt. Jetzt, da Narraway nicht mehr im Amt war, dürfte es nur eine Frage der Zeit sein, bis man auch Pitt auf einen unbedeutenden Posten abschob, wenn man ihn nicht gar entließ oder – was noch schlimmer wäre – dafür sorgte, dass er einen »Unfall« hatte.
Dann kam ihr ein anderer unangenehmer und noch hässlicherer Gedanke. Sofern
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