Der Verräter von Westminster
Drohung, denn ohne eine solche Empfehlung fanden Hausangestellte nicht leicht eine neue Beschäftigung. Solchen, die nicht nachweisen konnten, dass sie ihre vorige Stellung im Einvernehmen mit der Herrschaft aufgegeben hatten, trat man allgemein mit äußerstem Misstrauen gegenüber.
Mrs Waterman zeigte sich davon nicht im Geringsten beeindruckt. »Ich bin gar nich’ sicher, Ma’am, ob mir ’ne Empfehlung
von Ihn’n was nützen würde, falls Se versteh’n, was ich meine.«
Es kam Charlotte vor, als habe man sie geohrfeigt. »Nein, ich verstehe nicht, was Sie meinen. Ich habe im Gegenteil nicht die geringste Ahnung, wovon Sie reden«, sagte sie mit Schärfe in der Stimme.
»Ich sag das nich’ gerne«, gab Mrs Waterman mit widerwillig verzogenem Gesicht zurück. »Aber ich war noch nie bei Herrschaft’n in Anstellung, wo der Hausherr einfach so un’ ohne Gepäck für längere Zeit verschwindet und die gnä’ge Frau am spät’n Abend ’nen fremd’n Mann alleine empfängt. Das gehört sich nich’, Ma’am, und mehr hab ich dazu nich’ zu sag’n. Da, wo so anstößige Sach’n passier’n, kann ich nich’ bleib’n.«
Charlotte war verblüfft. Die Frau warf ihr vor, sich anstößig zu verhalten! Sie spürte, wie ihr die Hitze ins Gesicht stieg, und ärgerte sich über sich selbst. Das würde Mrs Waterman nicht etwa als Zeichen des Zorns deuten, sondern als Beweis für Charlottes schlechtes Gewissen. »Mr Pitt musste in einer dringenden Angelegenheit, über die Sie nichts zu wissen brauchen, nach Frankreich und hatte keine Zeit, vorher nach Hause zu kommen, um einen Koffer zu packen. Mr Narraway, sein Vorgesetzter in der Regierungsbehörde, für die er tätig ist, war hier, um mir das mitzuteilen, damit ich mir keine Sorgen mache. Sofern Ihnen das ›anstößig‹ erscheint, wie Sie sich auszudrücken belieben, spielt sich das ausschließlich in Ihrem Kopf ab.«
»Ganz, wie Se mein’n, Ma’am«, gab Mrs Waterman zurück, den Blick nach wie vor unverwandt auf Charlotte geheftet. »Un’ warum is’ er dann noch mal gekomm’n? Hat’m Mr Pitt ’ne Mitteilung gemacht statt Ihn’n, wo Se doch vermutlich seine Ehefrau sind?«
Am liebsten hätte Charlotte sie für diese Unverfrorenheit ins Gesicht geschlagen. Sie fühlte sich entsetzlich und kam
sich zugleich lächerlich und würdelos vor. Manchmal verstand sie sehr gut, warum Männer einander mitunter schlugen, hatte aber noch nie davon gehört, dass eine ehrbare Frau ihre Hausangestellte auf diese Weise behandelt hätte. Wahrscheinlich würde man sie in dem Fall festnehmen und wegen tätlicher Beleidigung unter Anklage stellen. Das Ganze war ein Alptraum. Mit großer Mühe zwang sie sich zur Ruhe.
»Mrs Waterman, Mr Narraway ist gekommen, um mir weitere Mitteilungen über die Arbeit meines Mannes zu machen, die Sie nichts angehen. Im Übrigen kann ich mir nicht vorstellen, warum Sie der Ansicht sind, dass ich Ihnen dafür in irgendeiner Weise Rechenschaft ablegen müsste. Die Aufgabe, die Mr Pitt im Auftrag Ihrer Majestät ausführt, verlangt bisweilen ein hohes Maß an Diskretion, weshalb er nicht mit mir darüber spricht, und das ist auch völlig in Ordnung. Ich habe nicht die Absicht, Ihnen mehr darüber zu sagen. Sofern Sie es für richtig halten, schlecht über die Situation oder über mich zu denken, kann ich Sie nicht daran hindern, denn das ist dann Ausdruck Ihres Wesens …«
Jetzt wurde Mrs Watermans Gesicht flammend rot. »Versuch’n Se bloß nich’, die Sache großspurig und mit glatt’n Wort’n zu vertusch’n«, sagte sie im Ton eines bitteren Vorwurfs. »Ich weiß, wie’n Mann aussieht, der auf ’ne Frau scharf is’.«
Charlotte lag die sarkastische Frage auf der Zunge, bei welcher Gelegenheit Mrs Waterman je einen solchen Mann gesehen haben wollte. Doch wäre das möglicherweise unnötig grausam, war doch Mrs Waterman trotz der ihr aus reiner Höflichkeit zugebilligten Anrede »Mrs« vor dem Namen genau das, was Charlottes Großmutter eine »versauerte alte Jungfer« zu nennen pflegte.
»Offensichtlich verfügen Sie über eine äußerst lebhafte und offen gesagt auch etwas ordinäre Vorstellungskraft, Mrs Waterman«, gab sie kalt zurück. »Da ich es mir nicht leisten kann,
einen solchen Menschen in meinem Hause zu beschäftigen, dürfte es in der Tat für uns beide das Beste sein, wenn Sie Ihre Siebensachen packen und es gleich morgen früh verlassen. Ich werde selbst das Frühstück für mich und die Kinder machen und
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