Der Verräter von Westminster
sich das so gehört.«
Charlotte entspannte sich ein wenig. »Genau so ist es. Bedauerlicherweise geschehen bei uns im Hause von Zeit zu Zeit unerwartete Dinge. Aber für Sie besteht nicht die geringste Gefahr. Andererseits ist Ihre Aufgabe mit einem hohen Maß
an Verantwortung verbunden, denn ich bin zwar meistens zu Hause, aber eben nicht immer.«
»Ja, Ma’am. Ich war schon mal bei Herrschaft’n im Dienst, aber die sin’ gestorb’n un’ ich hab noch keine neue Stelle gefund’n. Gracie hat gesagt, se will jed’n Tag vorbeikomm’n un’ seh’n, ob alles in Ordnung is’.« Bei diesen Worten sah Minnie Maude Charlotte unverwandt und mit leicht ängstlichem Gesicht an.
Diese richtete den Blick auf Gracie und erkannte die Zuversicht in ihren Augen. Da sie neben ihr saß, sah sie auch, dass sie ihre kleinen Hände fest im Schoß ineinandergeschlungen hatte. Sie traf ihre Entscheidung.
»In dem Fall würde ich Sie gern mit sofortiger Wirkung als Hausmädchen einstellen, Minnie Maude. Es tut mir leid, dass die Sache so sehr eilt. Daher, wie auch zum Ausgleich dafür, dass Sie ausgerechnet in der ersten Zeit allein sein werden, die in einer neuen Stellung immer die schwierigste ist, gebe ich Ihnen für den ersten Monat das doppelte Gehalt.«
Minnie Maude schluckte. »Viel’n Dank, Ma’am.«
»Nachher werde ich Ihnen Jemima und Daniel vorstellen. Normalerweise sind es brave Kinder, die Ihnen als einer Freundin Gracies sicher von Anfang an wohlgesonnen sein werden. Jemima weiß von fast allem im Hause, wo es sich befindet, und wird Ihnen gern helfen, wenn Sie sie darum bitten. Wahrscheinlich wird sie sogar stolz darauf sein. Aber lassen Sie ihr keine Ungezogenheiten durchgehen. Das gilt natürlich auch für Daniel. Vermutlich wird er es probieren, einfach, um zu sehen, wie weit er bei Ihnen gehen kann. Zeigen Sie ihm bitte in einem solchen Fall unverzüglich seine Grenzen auf.«
Da das Wasser inzwischen heiß war, goss sie den Tee auf und stellte die Kanne auf den Tisch. Während er zog, sprach sie einige weitere Dinge in Bezug auf den Haushalt an, die
Minnie Maude wissen musste, und sagte ihr, wo was zu finden war.
»Ich lasse Ihnen eine Liste unserer Lieferanten hier und schreibe die Preise dazu, obwohl ich vermute, dass Sie sich da auskennen. Aber möglicherweise versuchen die Leute aufzuschlagen, wenn sie annehmen, dass Sie nicht wissen, wie viel ich üblicherweise bezahle.« Anschließend teilte sie ihr Daniels und Jemimas Lieblingsgerichte mit und erklärte, welche Gemüsesorten sie vermutlich abzulehnen versuchen würden. »Und machen Sie ihnen Reispudding«, sagte sie zum Schluss, »aber höchstens zweimal die Woche. Es soll etwas Besonderes bleiben.«
»Mit Muskat?«, fragte Minnie Maude.
Charlotte warf einen Blick zu Gracie hinüber, dann lächelte sie entspannt und zufrieden. »Ganz genau. Ich glaube, Sie werden gut miteinander auskommen.«
KAPITEL 4
Gracie und Minnie Maude kamen am frühen Abend wieder, begleitet von Tellman, der Minnie Maudes Koffer trug. Er brachte ihn nach oben in das Zimmer, das Gracie vor nicht allzu langer Zeit bewohnt hatte, dann verabschiedeten er und Gracie sich und gingen nach Hause. Minnie Maude packte aus und räumte ein, wobei ihr Jemima half und Daniel aus respektvoller Entfernung zusah. Kleidungsstücke waren Frauensache.
Nachdem sich Charlotte vergewissert hatte, dass alles in Ordnung war, rief sie Großtante Vespasia an, um zu fragen, ob sie sie aufsuchen dürfe. Zu ihrer großen Erleichterung war sie zu Hause.
»Deine Stimme klingt so ernst«, sagte Lady Vespasia. Charlotte verstand sie nur schlecht, weil es in der Leitung knisterte.
»Ja, es gibt viel zu berichten, und ich würde dich gern um Rat fragen – allerdings lieber unter vier Augen als am Telefon. Ein großer Teil davon ist äußerst vertraulich.«
»Dann solltest du am besten zu mir kommen«, gab Lady Vespasia zurück. »Ich schicke dir meine Kutsche. Geht es bei dir gleich? Wir könnten dann miteinander zu Abend essen. Es gibt überbackenen Käsetoast, dazu einen sehr guten Rheinwein
und zum Nachtisch Apfelpfannkuchen mit Sahne. Um diese Jahreszeit ist Kochen das Beste, was man mit Äpfeln machen kann.«
»Wunderbar«, nahm Charlotte die Einladung an. »Ich sehe nur noch nach, ob sich meine neue Haushaltshilfe schon vollständig eingerichtet hat und weiß, was sie den Kindern zu Abend machen soll, dann bin ich zum Aufbruch bereit.«
»Ich dachte, die hättest du schon, seit Gracie
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