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Der Verräter von Westminster

Der Verräter von Westminster

Titel: Der Verräter von Westminster Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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Mehr hat er mir darüber nicht gesagt, daher nehme ich an, dass ihm die Sache unangenehm ist.«
    »Zweifellos.« Einen kurzen Augenblick lang blitzte ein Funke Humor in Lady Vespasia Augen auf. »Zwanzig Jahre soll das zurückliegen? Warum dann die Rache erst jetzt? Zwar sind die Iren dafür bekannt, dass sie einen Groll ebenso wenig vergessen wie einen Gefallen, den man ihnen schuldet, aber sie pflegen mit der Abrechnung nicht zu warten, wenn es nicht unbedingt sein muss.«
    »Könnte hier nicht jemand nach dem Grundsatz handeln: ›Rache ist ein Gericht, das man am besten kalt genießt‹?«, gab Charlotte zu bedenken.
    »Gewiss, meine Liebe. Aber in diesem Fall wäre sie nicht kalt, sondern steif gefroren. Meiner Vermutung nach steckt mehr dahinter als persönliche Rache, doch weiß ich natürlich nicht, was das sein könnte. Aber was hat das Ganze damit zu tun, dass dich deine Hausangestellte verlassen hat? Kann es sein, dass du … vergessen … hast, mir das zu sagen?«
    Charlotte fühlte sich unbehaglich. Wäre Tante Vespasia weniger zartfühlend oder weniger besorgt gewesen, hätte diese Mahnung sie entrüstet.

    »Ach so, ja … Mr Narraway ist nach Einbruch der Dunkelheit gekommen, und da das, was wir zu besprechen hatten, aus verständlichen Gründen nicht für fremde Ohren bestimmt war, hat er die Wohnzimmertür geschlossen. Ich habe den Eindruck, dass mich Mrs Waterman … für eine Frau … von zweifelhafter Tugend gehalten hat. Deshalb hat sie erklärt, es sei ihr nicht möglich, länger in einem Haus zu bleiben, dessen Herrin sich mit ›anstößigen Dingen‹ abgibt, wie sie sich auszudrücken beliebte.«
    »In dem Fall wird sie bei ihrer nächsten Stellensuche keine große Auswahl haben«, sagte Lady Vespasia. » Vor allem dann nicht, wenn sie solche Maßstäbe auch an den Hausherrn anlegt. «
    »Davon hat sie nichts gesagt.« Charlotte biss sich auf die Lippe, konnte aber ein Lächeln nicht unterdrücken. »Doch hätte sie bestimmt vor Entrüstung das Haus noch zur selben Stunde verlassen, auf die Gefahr hin, sich am späten Abend mit ihrem Koffer in der Hand allein auf der Straße wiederzufinden, wenn sie gewusst hätte, dass ich Mr Narraway versprochen habe, ihn nach Irland zu begleiten, um ihn bei der Aufdeckung der Wahrheit nach Kräften zu unterstützen. Ich muss es ihm ermöglichen, seinen Namen reinzuwaschen, denn die Leute, die ihm das eingebrockt haben, sind zwangsläufig auch Thomas’ Feinde. Ohne Narraway in Lisson Grove wäre er ihnen hilflos ausgeliefert – und was würden wir dann tun?«
    Lady Vespasia schwieg eine Weile. »Gib acht, was du tust, Charlotte«, sagte sie mit ernster Stimme. »Ich weiß nicht, ob dir klar ist, wie gefährlich das werden kann.«
    Charlotte ballte die Fäuste. » Was soll ich denn deiner Ansicht nach tun? Untätig hier in London herumsitzen, während man Mr Narraway voll Heimtücke zugrunde richtet, und dann darauf warten, dass Thomas sein Schicksal teilt? Im besten
Fall wird man ihn aus dem Dienst entlassen, weil er Narraways Schützling ist und man ihn nicht leiden kann, im ungünstigsten aber in den Unterschlagungsvorwurf mit einbeziehen und wegen Diebstahls unter Anklage stellen.« Bei diesen Worten überschlug sich ihre Stimme ein wenig und verriet das Ausmaß ihrer Müdigkeit und ihrer Besorgnis. »Was würdest du an meiner Stelle tun?«
    Lady Vespasia streckte ihre Hand über den Tisch aus und berührte ganz sacht Charlottes Fingerspitzen. »Dasselbe wie du, meine Liebe. Nur bedeutet das nicht zwangsläufig, dass deine Entscheidung klug ist. Es ist einfach die einzige, mit der du leben kannst.«
    Das Mädchen klopfte und teilte mit, dass im Frühstückszimmer gedeckt sei. Zierliche Mahagonimöbel aus dem 18. Jahrhundert schimmerten dunkel vor goldgelb tapezierten Wänden, so dass es aussah, als äßen sie im Licht des Sonnenuntergangs, obwohl die Vorhänge auch hier zugezogen waren und das einzige Licht von den Gaskandelabern an den Wänden kam.
    Erst als sie in den Salon zurückgekehrt waren und sicher sein durften, dass man sie nicht stören würde, wandten sie sich erneut ihrer ernsthaften Unterhaltung zu.
    »Du darfst in Irland keinen Augenblick vergessen, wo du bist«, mahnte Lady Vespasia. »Nimm vor allem nicht an, dass es dort zugeht wie hier in England. Die Leute da sind außerstande, die Vergangenheit auch nur einen Augenblick lang zu vergessen. Genieße, was sich dir bietet, aber sei ständig auf der Hut. Man sagt, wer mit dem Teufel

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