Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Verräter von Westminster

Der Verräter von Westminster

Titel: Der Verräter von Westminster Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
Vom Netzwerk:
nich’ helf ’n«, gab Gracie zu bedenken. »Kennt der Feind ’n denn nich’, oder rechnet er womöglich nich’ damit, dass er kommt?« Die freudige Röte, die ihr Gesicht beim Anblick Charlottes überzogen hatte, war dahin. »Das wär doch dumm. Se müss’n ’m sag’n, dass er sich das gut überleg’n soll!«

    »Ich muss ihm helfen, Gracie. Die Leute im Sicherheitsdienst, die ihn in diese Situation gebracht haben, sind auch Mr Pitts Feinde, und deswegen müssen wir um unser aller willen dafür sorgen, dass er sein Ziel erreicht.«
    »Se woll’n nach Irland? Se woll’n ’m helf’n …« Gracie streckte die Hand aus, als wolle sie diese auf Charlottes Hand legen, die auf dem Tisch ruhte, zog sie aber dann verlegen wieder zurück. Auch wenn sie nicht mehr Charlottes Dienstmädchen war, würde sie sich mit einer solchen Geste trotz all der Jahre, die sie mit ihr unter ein und demselben Dach gelebt hatte, zu viel herausnehmen. Sie holte tief Luft. »Ja, das müss’n Se unbedingt tun.«
    »Es ist auch meine feste Absicht«, versicherte ihr Charlotte. »Aber um die Reise unternehmen zu können, muss ich eine Frau finden, die Mrs Watermans Aufgabe übernimmt, denn sie hat mich heute Morgen voll moralischer Entrüstung verlassen, weil Mr Narraway nach Einbruch der Dunkelheit mit mir allein im Wohnzimmer war.«
    Wechselnde Empfindungen traten auf Gracies Züge. Zorn, Empörung, Ungehaltenheit, aber auch eine gewisse Belustigung.
    »So ’ne blöde alte Schachtel!«, sagte sie mit Nachdruck und voll Abscheu. »Man sollte nich glaub’n, was für ’ne versaute Fantasie manche von den verdorrt’n alt’n Jungfern ha’m. Aber Mr Narraway kann Se tatsächlich gut leid’n.« Einen Augenblick lang ließ ein Lächeln ihre Augen leuchten, war aber sogleich wieder verschwunden. Als sie noch für Charlotte gearbeitet hatte, hätte sie das wohl nicht zu sagen gewagt, aber jetzt war sie eine achtbare Ehefrau und befand sich in der unübersehbar liebevoll gepflegten Küche ihrer eigenen Wohnung. Sie hätte nicht einmal mit der Königin tauschen wollen – und sie hatte der Königin von Angesicht zu Angesicht gegenübergestanden, was nicht viele von sich sagen konnten.
    »Meine Schwester Emily ist verreist und meine Mutter ebenfalls«, erklärte Charlotte ihr mit betrübter Stimme. »Ich brauche unbedingt eine Betreuerin für Jemima und Daniel, denn ich kann die beiden unmöglich allein lassen. Aber wo soll ich so rasch eine finden, der ich voll und ganz vertrauen kann? Wer kann mir so eine Frau rückhaltlos empfehlen?«
    Gracie schwieg lange. Charlotte, der aufging, dass sie da eigentlich eine unmögliche Frage gestellt hatte, sagte rasch: »Entschuldigung, das war ungehörig.«
    Der Kessel auf dem Herd begann zu pfeifen, ein Zeichen, dass das Wasser anfing zu sieden. Gracie stand auf, nahm ein Tuch, um sich nicht die Hand zu verbrennen, und zog ihn von den Ringen zur Seite. Sie gab ein wenig dampfendes Wasser in die Kanne, um sie vorzuwärmen, schwenkte sie aus und brühte den Tee auf. Dann stellte sie die heiße Kanne vorsichtig auf einen Metalluntersetzer und setzte sich wieder.
    »Ich«, sagte sie.
    Charlotte zwinkerte. »Wie bitte?«
    »Ich wüsste da jemand. Minnie Maude Mudway. Wir kenn’ uns aus Spitalfields, aus der Zeit, bevor ich zu Ihn’n gekomm’n bin. Se hat dicht bei dem Haus gewohnt, wo ich auch war, gleich um de Ecke, ’n paar Straß’n weiter. Man hat ihr’n Onkel umgebracht, und ich hab ihr geholf ’n rauszukrieg’n, wer’s war. Wiss’n Se noch?«
    Charlotte war verwirrt und versuchte vergeblich, sich zu erinnern.
    »Se sind damals als Maria auf ’m Esel geritt’n, für das Kripp’n-spiel«, versuchte Gracie Charlottes Erinnerung aufzufrischen. »Damals war Minnie Maude acht, aber jetz’ is se erwachs’n. Auf Minnie is’ Verlass, die gibt nie auf. Ich such se für Sie. Un’ ich geh auch selber jed’n Tag inne Keppel Street un’ seh nach, ob alles in Ordnung is’.«

    Nachdenklich ließ Charlotte ihren Blick zwischen Gracies kleinem ernsthaftem Gesicht, der sacht vor sich hin dampfenden Teekanne und dem selbstgebackenen Kuchen mit den vielen Rosinen darin hin und her wandern.
    »Danke«, sagte sie leise. »Das wäre wunderbar. Wenn Sie jeden Tag hingehen, brauche ich mir keine Sorgen zu machen. «
    Mit zufriedenem Lächeln fragte Gracie: »Woll’n Se ’n Stück Kuch’n?«
    »Ja, gern.«
     
    Bereits um drei Uhr am Nachmittag hatte Charlotte ihren Koffer gepackt, damit sie am

Weitere Kostenlose Bücher