Der Verräter von Westminster
allem, was ich sage, sofort den wahren Grund erkennen. «
»Ich gehe nicht mit dir zusammen. Die Scharade, dass du meine Schwester bist, ist ausschließlich für Mrs Hogan bestimmt. « Er lächelte trübselig. »Ich gehe allein, dich hingegen wird Fiachra McDaid begleiten. Er wird dich …«, er warf einen Blick auf die Kaminuhr, »… in etwa zehn Minuten hier abholen. Mir bleibt wirklich keine Wahl. Meiner festen Überzeugung nach ist Talullas Rolle in dieser Angelegenheit von entscheidender Bedeutung. Bei allem, was ich herausbekommen habe, führt die Fährte immer wieder zu ihr. Sie ist das Bindeglied zwischen allen anderen.«
»Wer sind denn diese anderen?«, fragte sie. »Kann ich die Sache nicht übernehmen?«
Er lächelte flüchtig. »Diesmal nicht, meine Teure.«
Obwohl ihr klar war, dass er ihr nicht die ganze Wahrheit gesagt hatte, gab sie den Versuch auf, ihn von seinem Vorhaben abzubringen. Vermutlich hatte er Recht mit seinem Hinweis, dass es töricht gewesen wäre, herzukommen, wenn sie nicht bereit waren, Risiken einzugehen. Sie erwiderte sein Lächeln kurz und nickte. »Aber sei vorsichtig.«
Der Blick seiner Augen wurde weicher. Er schien im Begriff, etwas Spöttisches zu erwidern, doch da klopfte es an die Tür. Mrs Hogan, deren Frisur wie üblich halb aufgelöst war, kam in ihrer gestärkten weißen Schürze herein.
»Mr McDaid möchte Sie abholen, Mrs Pitt.« Ihrem Gesichtsausdruck ließ sich unmöglich entnehmen, was sie dachte, wohl aber, dass es ihr offenkundig schwerfiel, ihre Gesichtszüge zu beherrschen.
»Danke, Mrs Hogan«, sagte Charlotte höflich. »Ich gehe gleich hin.« Sie sah Narraway an. »Bitte sei vorsichtig«, wiederholte sie, raffte, bevor er etwas erwidern konnte, ihren
Rock, damit er nicht über den Boden schleifte, und rauschte durch die Tür hinaus, die ihr Mrs Hogan aufhielt.
Fiachra McDaid stand im Vestibül neben der Standuhr, die gegenüber der im Esszimmer fünf Minuten vorging. Obwohl er modisch gekleidet war, reichte er nicht an Narraways lässige Eleganz heran.
»Guten Tag, Mrs Pitt«, sagte er in herzlichem Ton. »Ich hoffe, dass Ihnen die Musik gefallen wird. Nun werden Sie einen anderen Teil Dublins kennenlernen, und es ist ein herrlicher Tag dafür, übrigens auch genau richtig für eine Besichtigung der näheren Umgebung. Wie wäre es beispielsweise mit einer Fahrt nach Drogheda und zu den Ruinen von Mellifont, der ältesten Abtei Irlands, die 1142 auf Betreiben des heiligen Malachias erbaut wurde? Sofern Ihnen das zu nahe an der Gegenwart sein sollte, könnte ich Ihnen den Hügel von Tara empfehlen. Er war zur Zeit unserer Hochkönige das politische Zentrum Irlands, denn dort stand deren Burg, bis das Christentum kam und ihrer Macht ein Ende bereitete.«
»Das klingt eindrucksvoll«, sagte sie mit so viel Begeisterung, wie sie aufbringen konnte, nahm seinen Arm und ging mit ihm zur Haustür. Sie drehte sich nicht um, um zu sehen, ob Narraway sie beobachtete. »Liegen diese Orte weit von Dublin entfernt?«
»Es ist eine gewisse Strecke, aber die Fahrt lohnt sich unbedingt«, gab McDaid zurück. »Irland ist sehr viel mehr als Dublin, müssen Sie wissen.«
»Das kann ich mir denken. Ich weiß die Großzügigkeit zu schätzen, mit der Sie mich an der Schönheit Ihres Landes teilhaben lassen. Bitte berichten Sie mir mehr über diese Orte.«
Dazu war er gern bereit, und sie hörte ihm auf der kurzen Fahrt zum Konzertsaal mit aufmerksamer Miene zu. Zu jeder anderen Zeit wäre sie sogar wirklich so interessiert gewesen,
wie zu sein sie den Anschein erweckte. Der Stolz in McDaids Stimme war ebenso unverkennbar wie die Liebe zu seinem Volk und dessen Geschichte. Außerdem legte er ein bemerkenswertes Mitgefühl für die Armen und Entrechteten an den Tag, das sie aufrichtig bewunderte.
An den Türen des Konzertsaals drängten sich die Menschen bereits, und sie mussten sich beeilen, um gute Plätze in einer der vorderen Reihen zu finden. Das war Charlotte ganz recht, weil sie auf diese Weise einen möglichst großen Abstand von Narraway halten konnte und niemand den Eindruck gewann, sie könnten zueinander gehören – außer natürlich McDaid, auf dessen Diskretion sie sich verlassen musste.
Die anderen Damen waren ausgesprochen modisch gekleidet, doch in ihrer schwarz und bronzefarben gestreiften Bluse fühlte sie sich ihnen allen gleichwertig, auch wenn sie nach wie vor das schlechte Gewissen peinigte, weil sie zugelassen hatte, dass Narraway dafür
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