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Der Verräter von Westminster

Der Verräter von Westminster

Titel: Der Verräter von Westminster Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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Räderratterns hatte er nicht gehört, wie sich die Tür zum Waggon öffnete. Er wandte sich halb um, doch es war zu spät. Jemand umklammerte von hinten seinen rechten Arm mit eisernem Griff und drängte ihn so fest gegen das Geländer der Plattform, dass sein eigener Körper seinen linken Arm einquetschte.
    Er versuchte, dem Mann kräftig auf den Fuß zu treten, um ihn durch den Schmerz dazu zu bewegen, seinen Griff zu lockern. Zwar merkte er, dass der Mann zusammenzuckte, dann aber schob dieser ihn immer weiter nach vorn, mit dem Oberkörper über das Geländer. So scharf schnitt Pitt das Metall in den linken Arm, dass er vor Schmerz nach Luft rang. Inzwischen hatte ihn der Angreifer so weit vornüber gedrückt, dass sich sein Kopf dem vorbeifliegenden Boden immer mehr näherte. Der kalte Wind fuhr ihm durch das Gesicht, und Rußflocken von der Lokomotive bissen in seine Haut. Es würde nicht mehr lange dauern, bis er das Gleichgewicht verlor, von der Plattform stürzte und auf den Bahndamm prallte. Das würde bei der hohen Geschwindigkeit des Zuges mit großer Wahrscheinlichkeit seinen Tod bedeuten. Der ausgesprochen kräftige und massige Mann presste ihm geradezu alle Luft aus dem Brustkorb, und Pitt hatte nicht die geringste Möglichkeit, sich zu wehren. Er konnte nicht mehr lange Widerstand leisten, in wenigen Sekunden würde es vorüber sein.

    Da hörte er, wie eine Tür zugeschlagen wurde, und ein wilder Schrei ertönte. Der Druck gegen seinen Rücken wurde noch stärker und presste ihm die letzte Luft aus der Lunge. Dann löste sich sein Angreifer von ihm, und Pitt, der sich keuchend am Geländer festhielt, drehte sich um. Der Angreifer kämpfte jetzt gegen einen anderen Mann. In der Dunkelheit vermochte Pitt lediglich schattenhafte Umrisse zu erkennen, sah aber, dass der Mann, der ihn gerettet hatte, wohlbeleibt und stämmig war und dass der Hut des Mannes davonflog. In diesem Kampf zog er unübersehbar den Kürzeren und wurde immer mehr zum gegenüberliegenden Geländer der Plattform gedrängt. Einen kurzen Augenblick lang fiel ein Lichtschein aus der Tür, und Pitt sah, dass sich Entsetzen auf dem vor Wut verzerrten Gesicht des Mannes auszubreiten begann, da er merkte, dass er nicht gewinnen konnte. Pitt richtete sich auf, stürmte mit bloßen Fäusten auf seinen Angreifer los und rammte sie ihm, so fest er konnte, in die kurzen Rippen, in der Hoffnung, ihm auf diese Weise die Luft zu nehmen. Er hörte ihn aufstöhnen und drang weiter auf ihn ein, aber nur einen Schritt weit. Der Dicke warf sich beiseite und auf ein Knie. Auf diese Weise konnte er verhindern, dass er das Gleichgewicht verlor und über das Geländer stürzte.
    Pitt wandte sich weiter gegen seinen Angreifer, doch der musste damit gerechnet haben. Er ließ sich ebenfalls auf die Knie fallen, so dass ihn Pitts Schlag lediglich an der Schulter traf und diese nach hinten riss, und dann griff er Pitt mit gesenktem Kopf an und traf ihn so hart in die Magengrube, dass Pitt zu Boden stürzte. Die Waggontür schlug auf und zu.
    Inzwischen hatte sich der Dicke wieder aufgerafft und stürmte auf den Mann los, der Pitt angegriffen hatte, wobei er etwas brüllte, was in den Geräuschen des Windes und des Zuges unterging. Der Angreifer tat einen Schritt beiseite, fuhr
rasch herum, packte den Dicken, richtete sich hoch auf und schob ihn über das Geländer, so dass er mit hilflos rudernden Armen ins Leere stürzte.
    Einen Augenblick lang war Pitt vor Entsetzen starr, dann wandte er sich dem Angreifer zu, den er im Dunkeln lediglich umrisshaft sehen konnte und von dem er trotzdem wusste, wer er war.
    »Wie sind Sie mir eigentlich auf die Schliche gekommen?«, fragte Gower neugierig mit einer Stimme, die nahezu so klang wie immer.
    Pitts Atem ging pfeifend, seine Lunge und Rippen schmerzten, wo ihn Gower gegen das Geländer gedrückt hatte, doch er konnte nur an den Mann denken, der ihn zu retten versucht hatte und jetzt mit zerschmetterten Gliedern auf dem Bahndamm lag.
    Gower trat auf ihn zu. »Was hat Ihnen der Mann gesagt, den Sie gestern außerhalb der Stadt aufgesucht haben?«
    »Nichts weiter, als dass man Frobisher nicht ernst nehmen darf«, gab Pitt zurück. Seine Gedanken jagten sich. »Um das zu merken, kann Wrexham unmöglich eine ganze Woche gebraucht haben. Also hat er es wahrscheinlich schon immer gewusst. Dann ist mir der Gedanke gekommen, dass auch Wrexham nicht der war, als den Sie ihn hingestellt haben. Zwar hatte ich zu sehen geglaubt,

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