Der Verräter von Westminster
bezahlte, und sie noch nicht wusste, auf welche Weise sie Pitt diesen kostbaren Besitz erklären wollte. Im Augenblick aber genoss sie es, dass Männer wie Frauen sie aufmerksam musterten und dann ein zweites Mal hersahen, sei es bewundernd, sei es neidvoll. Sie lächelte ein wenig, nur gerade so viel, dass man es ihr nicht als selbstgefällig auslegen konnte, und mit dem gleichen Lächeln erwiderte sie das Nicken, mit dem Menschen sie begrüßten, die sie bei früheren Gelegenheiten kennengelernt hatte.
Als sie Plätze gefunden hatten, setzte sie sich mit durchgedrücktem Rücken hin und musterte scheinbar interessiert die noch leeren Stühle der Musiker auf dem Podium.
Dann sah sie sich diskret um und erkannte Dolina Pearse. Im letzten Augenblick vermied sie es, sie anzusehen. Neben Dolina ließ Talulla Lawless betont unauffällig ihren Blick durch den Saal wandern. Offensichtlich suchte sie jemanden. Charlotte, die der Richtung ihrer Blicke zu folgen versuchte, spürte,
wie ihr der Atem stockte, als sie Narraway eintreten sah. Einen Augenblick brach sich das Licht in den silberfarbenen Haaren an seinen Schläfen, während er sich vorbeugte, um dem zuzuhören, was ihm jemand sagte. Talulla erstarrte, ihr Gesicht wurde zur Maske. Dann wandte sie sich mit einem gekünstelten Lächeln dem Mann neben ihr zu. Es dauerte einen Augenblick, bis Charlotte in ihm Phelim O’Conor erkannte. Er verließ sie gleich darauf, um seinen Platz einzunehmen, und Talulla suchte ihren eigenen auf.
Der Zeremonienmeister trat auf das Podium, um den Beginn des Konzerts anzukündigen, und sogleich verstummte das Stimmengewirr. Etwas mehr als eine Stunde lauschten die Besucher angespannt den Klängen der Musik und gaben sich den Empfindungen hin, die sie in ihnen weckte. Sie waren so angenehm, dass Charlotte lächeln musste. Es kostete sie nicht die geringste Mühe, den Anschein zu erwecken, als sei sie wunschlos glücklich.
Doch kaum war der Applaus nach dem Ende des Musikstücks vorüber, als ihre Gedanken zum Anlass ihrer Anwesenheit zurückkehrten. Vor allem aber wollte sie wissen, wo sich Narraway aufhielt. Unwillkürlich musste sie an den Ausdruck auf Talullas Gesicht denken. Möglicherweise hatte das, was Charlotte für Narraway tun konnte, absolut nichts mit Cormac O’Neil zu tun, und es war wichtiger, ihm beizustehen, falls Talulla auf den Gedanken kam, ihm eine Szene zu machen.
Sie warf McDaid ein flüchtiges Lächeln zu, stand auf und ging dorthin, wo Talulla saß, wobei sie überlegte, was sie ihr sagen konnte, ganz gleich, ob es der Wahrheit entsprach oder nicht. Sie erreichte Talulla gerade in dem Augenblick, als diese ihren Platz verlassen wollte. Dabei stießen sie so heftig zusammen, dass Charlotte beinahe umgefallen wäre. Talulla sah sie verblüfft an.
»Das tut mir aufrichtig leid«, entschuldigte sich Charlotte, obwohl Talulla sie angestoßen hatte. »Meine Begeisterung hat mich wohl unaufmerksam sein lassen.«
»Sie sind begeistert?«, fragte Talulla kalt. Auf ihren Zügen lag unverhüllte Ungläubigkeit.
»Ja, von der Harfenistin«, sagte Charlotte rasch. »Ich habe noch nie beeindruckendere Musik gehört.« Sie suchte verzweifelt nach etwas, was sie sagen konnte.
»Dann will ich Sie nicht daran hindern, mit ihr zu sprechen«, gab Talulla zurück. »Sie finden sie bestimmt sehr angenehm. «
»Kennen Sie sie?«, fragte Charlotte eifrig.
»Nur dem Namen nach. Ehrlich gesagt habe ich auch nicht die Absicht, sie zu belästigen«, gab Talulla scharf zurück. »Bestimmt gibt es viele Leute, die unbedingt mit ihr sprechen wollen.«
»Ich wäre Ihnen aufrichtig dankbar, wenn Sie mich ihr vorstellen könnten«, fuhr Charlotte fort, indem sie die Zurückweisung einfach überging.
»Ich bedaure, Ihnen dabei nicht behilflich sein zu können.« Talulla gab sich keinerlei Mühe, ihre Ungehaltenheit zu verbergen. » Wie gesagt, ich kenne sie nicht. Wenn es Ihnen also nichts ausmacht …«
»Ach je«, sagte Charlotte in enttäuschtem Ton. »Aber Sie haben doch gesagt, ich würde sie angenehm finden«, gab sie herausfordernd zurück. Sie wagte nicht, den Blick auf die Stelle zu richten, an der sie Narraway im Gespräch mit Ardal Barralet erkannt hatte.
»Ja, aber nur aus reiner Höflichkeit«, blaffte Talulla sie an. »Und jetzt, Mrs Pitt, muss ich gehen, damit ich die Leute nicht verpasse, mit denen ich dringend zu reden habe. Sie entschuldigen mich wohl.« Mit diesen Worten schob sie Charlotte förmlich aus dem Weg,
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