Der Verrat
doch nicht wahr sein.
»Äh, ich nix Koreaner«, sagte ich mit unsicherer und leicht unterwürfiger Miene und Haltung, wie jemand, der keinen Ärger wollte, der gerade erst ins Land gekommen war, und das nicht unbedingt auf legale Weise, der für einen Mindestlohn arbeitete und bloß nicht auffallen wollte.
»Oh!«, sagte sie und wurde leicht rot. »Mein Freund ist Koreaner, und ich dachte, das Restaurant und so … egal. Tut mir Leid.«
Ihre Verlegenheit wegen des Irrtums und meine vermeintlich verlegene Reaktion darauf reichten anscheinend aus, um jede weitere Konversation zu unterbinden. Gott sei Dank.
»Ich ähm …«, setzte ich an und deutete vage auf den Bereich hinter dem Empfang, wo die Fahrstühle sein mussten.
»Ja natürlich, gehen Sie einfach durch.« Sie lächelte erneut, und ich nickte ihr schüchtern zu.
Als ich an der Theke vorbeiging, warf ich einen verstohlenen Blick darauf. Ein offenes Lehrbuch, vorn in der Mitte. Seitlich davon ein Videomonitor. Leicht zu erraten, worauf sie ihre nach Stunden bezahlte Aufmerksamkeit eher richtete.
Aufgrund der Lage des Lieferanteneingangs auf der Rückseite wusste ich, dass der Einstiegspunkt links von den Fahrstühlen sein würde, und ich ging an einer Innentreppe vorbei in diese Richtung. Da war sie, eine hölzerne Schwingtür. Dahinter kam ein kurzer Flur mit Linoleumboden und an dessen Ende war die Tür nach draußen.
Ich untersuchte die Tür rasch, konnte aber nicht feststellen, ob sie mit einer Alarmanlage ausgestattet war. Ihre Dicke und drei große Schlösser ließen vermuten, dass die Gebäudeverwaltung vielleicht darauf verzichtet hatte. Und selbst wenn es eine Alarmanlage gab, dann war sie vermutlich tagsüber ausgeschaltet, wenn die Tür dauernd benutzt wurde. Auf dem Boden sah ich einen hölzernen Türstopper, der meine Vermutung erhärtete, dass es entweder keine Alarmanlage gab oder dass sie zurzeit nicht aktiviert war. Ansonsten wäre der Türstopper ja gar nicht zu benutzen.
Mit dem Armelaufschlag der Windjacke öffnete ich die Schlösser und drückte die Klinke. Als ich die Tür aufzog, inspizierte ich den Rahmen. Keine Alarmanlage. Ich sah mich um. An der Außenwand lehnten einige Wischmops, offenbar um zu trocknen, und davor stand eine Reihe von großen, grauen Plastikmüllcontainern auf Rollen.
Ich überlegte einen Moment. Die junge Frau in der Lobby interessierte sich offensichtlich mehr für ihre Bücher als für den Monitor, und sie war bestimmt daran gewöhnt, dass tagsüber Mitarbeiter von Wartungsfirmen den Hintereingang nutzten. Es schien machbar.
Ich klemmte den Türstopper zwischen Tür und Rahmen und ging wieder hinein. Als ich die Fahrstühle erreichte, kam gerade eine ältere Frau mit einem Rollwagen aus einem herausgeschlurft. Sie blieb stehen, spähte auf meine Überschuhe und sah mich dann an. »Regnet’s?«, fragte sie.
Verdammt, dachte ich. Die sollten dich vorne als Türsteherin engagieren.
Ich schüttelte den Kopf. »Neue Schuhe«, sagte ich noch immer mit meinem gespielten Akzent. Und wenn du jetzt auch noch Koreanisch sprichst, dachte ich, strecke ich auf der Stelle die Waffen. » Ich noch nicht weiß, ob behalten soll, und so werden Sohlen nix schmutzig.« Ich beugte mich vor und senkte die Stimme. »Nix verraten, ja?«
Sie lachte und ließ ein strahlend weißes Gebiss sehen. »Keine Bange, das bleibt unser kleines Geheimnis«, sagte sie, zwinkerte mir zu und schlurfte langsam von dannen.
Ich lächelte, froh, dass mir diese Ausrede eingefallen war.
Ich konnte natürlich nicht wieder mit dem Kim’s -Lunchpaket herauskommen, also entsorgte ich es im Postraum gleich rechts von den Fahrstühlen tief unten in einem Mülleimer voller Wurfsendungen. Dann sah ich auf die Uhr und wartete vier Minuten ab. Ich wollte nicht prompt wieder an der alten Frau vorbeikommen – sie war aufmerksam und könnte sich fragen, wo das Lunchpaket geblieben war, dass ich vor einigen Sekunden noch bei mir hatte. Wenn ich sie jetzt in der Lobby überholte, könnten die vier Minuten mit einer raschen Lieferung an eine Wohnung in den unteren Stockwerken erklärt werden. Den längeren Zeitraum, der vergangen war, seit ich die Studentin am Empfang passiert hatte, hielt ich für noch akzeptabel. Entscheidend war, dass sie sah, wie ich das Haus wieder verließ. Ich glaubte kaum, dass sie auf kleinere Ungereimtheiten achtete, zum Beispiel auf einen Lieferanten, der sich etwas länger im Haus aufhielt, als man normalerweise erwarten
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