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Der Verrat

Der Verrat

Titel: Der Verrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Eisler
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Seine Augen waren noch immer starr vor Entsetzen, aber ich sah ihm an, dass er sich jetzt mühsam zusammenriss. »Okay«, sagte er. »In Ordnung.«
    Ich wartete kurz ab, ließ ihm noch einen Moment Zeit, seine neue Lage voll und ganz zu begreifen. Der Bursche war offensichtlich kein besonders harter Fall. Klar, er war bei der CIA, aber eher der Musterschülertyp, nicht einer von den Paramilitärs. Die letzte gewalttätige Auseinandersetzung, die er mit eigenen Augen gesehen hatte, war vermutlich auf dem Pausenhof in der Grundschule passiert. Und jetzt war er plötzlich gefesselt und hilflos, ein berüchtigter Killer kauerte neben ihm und sah ihn an, als sei er ein Frosch auf dem Seziertisch. Natürlich hatte er panische Angst. Und das war gut so. Wenn ich seine Panik gut handhabte, bestand eine echte Chance, dass er mir sagte, was ich wissen wollte.
    »Also, Mr. Crawley«, sagte ich, »ich glaube, wir müssen uns darüber unterhalten, warum ein netter Mensch wie Sie mich umbringen lassen will.«
    Er spitzte die Lippen, schluckte erneut und atmete pfeifend durch die Nase. Ich sah, dass er überlegte, wie er reagieren sollte. Alles abstreiten? Jemand anderen belasten? Gestehen und um Gnade betteln? Irgendwas dazwischen?
    Während ich beobachtete, wie er verzweifelt nachdachte, das Für und Wider seiner schwachen Optionen abwägte, spürte ich, dass er wusste, dass ich dergleichen schon oft genug erlebt hatte, um zu wissen, wie ich mit ihm umzugehen hatte – ganz gleich, für welche er Taktik er sich entschied. Er war demnach wahrscheinlich schlau genug, nicht einfach alles abzustreiten. Nein, er kam mir clever vor, sogar gerissen. Irgendwo im Hinterkopf dachte er wahrscheinlich: Streite es nicht ab! Er wäre nicht hier, wenn seine Informationen nicht gut wären. Und wenn du es nicht abstreitest, wenn du bis zu einem gewissen Punkt alles zugibst, wird er eher geneigt sein, dir auch den Rest zu glauben. Es würde eine Variation des Schuhe-Spiels werden, das ich vorhin mit der alten Dame mit dem Rollwagen gespielt hatte. Und er würde seine Sache wahrscheinlich recht gut machen. Viele von diesen Regierungsleuten sind ziemlich geschickt im Lügen.
    Mal sehen, dachte ich und schloss innerlich eine Wette mit mir ab. Wahrscheinlich kommt jetzt irgendwas wie: »Ich hab nur auf Anweisung gehandelt. «
    »Ich war das nicht«, sagte er, ohne zu wissen, dass ich damit meine Wette gewonnen hatte. »Es war jemand anderer.«
    »Und wer?«
    »Es war … hören Sie, Herrgott, ich darf Ihnen das nicht sagen!«
    »Aber Sie waren es nicht.«
    Hoffnung flackerte in seinen Augen. »Ja, genau.«
    Ich seufzte. »Gibt es einen anderen Charles Crawley, der genauso aussieht wie Sie?«, fragte ich.
    »Wie bitte?«
    »Einen Zwilling. Haben Sie einen Zwilling?«
    »Was? Nein, nein, hab ich nicht.«
    »Dachte ich mir. Aber wissen Sie, das ist seltsam. Weil nämlich jemand, der genauso aussieht wie Sie und der auch Crawley heißt, obwohl er sich Johnson genannt hat, kürzlich Kontakt zu einem freien Mitarbeiter für Spezialeinsätze aufgenommen und ihm hunderttausend Dollar geboten hat, wenn er mich ausschaltet. Er hat richtig persönlich Kontakt zu ihm aufgenommen.«
    Er schielte nach links, ein neurolinguistisches Zeichen für die Suche nach Einfällen, nicht nach Erinnerungen. Er versuchte, sich irgendwas einfallen zu lassen, einen Weg aus der Klemme zu finden, in die er sich gerade selbst bugsiert hatte.
    »Vielleicht, ich weiß nicht«, sagte er. »Vielleicht benutzt jemand meinen Namen. Will mich reinlegen.«
    Ich seufzte erneut. »Der fragliche freie Mitarbeiter hatte ein Handy mit einer integrierten Digitalkamera dabei«, sagte ich. »Er hat ein halbes Dutzend Fotos von Ihnen geschossen.«
    Seine Pupillen weiteten sich. Er leckte sich die Lippen.
    »Ich fürchte, unser Gespräch endet nicht so, wie wir gehofft hatten«, sagte ich.
    »Na schön, na schön, tut mir Leid, ich hatte nur Angst. Okay, ich war das. Aber hören Sie, ich wollte das nicht, ich hab bloß … ich hatte keine andere Wahl.«
    »Ich höre.«
    Er holte tief Luft. »Sie wurden vor kurzem beauftragt … auf jemanden angesetzt. Das Problem, das Sie haben, es hängt mit dieser Person zusammen.«
    Ich schüttelte leicht angewidert den Kopf. Meiner Erfahrung nach gehen Bürokraten mit dem Wort töten so um wie Viktorianer mit dem Wort Sex: Sie können sich einfach nicht überwinden, es auszusprechen.
    Ich wartete, ließ das drückende Schweigen seine Wirkung tun. Aber er blieb

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