Der Verrat
Kopf einem der Russen zu, jedoch ohne dabei Belghazi aus den Augen zu lassen. »Es tut mir sehr Leid«, sagte er auf Englisch mit einem starken Akzent. »Wirklich, sehr Leid. Wir haben versucht, euch die Raketen abzukaufen. Aber ihr wolltet nicht verkaufen.«
»Wer zum Teufel ist ›wir‹?«, zischte der Russe.
»Das spielt keine Rolle«, sagte der Bodyguard. »Wichtig ist, dass wir euch Geld geboten haben und ihr gesagt habt, ihr hättet schon einen Käufer – Belghazi. Wir haben euch sogar mehr geboten! Aber ihr wolltet nicht hören.«
»Weil wir den Mann kennen und schon viele gute Geschäfte mit ihm gemacht haben«, sagte der Russe. »Mit Arschlöchern, die wir nicht kennen, passiert so ein Scheiß wie jetzt!«
Belghazi ließ eine weitere Schimpfkanonade auf Arabisch los. Hilger sagte: »Achille, bitte, ich muss wissen, was hier vor sich geht. Hat er ›Raketen‹ gesagt?«
Belghazi öffnete und schloss die Fäuste, als wollte er überschüssige Energie ableiten, die ihn sonst innerlich verbrennen würde. »Habt ihr dieses französische Stück Scheiße nach Macau geschickt?«, fragte er den Bodyguard. »Ihr wart das, stimmt’s?«
Der Mann nickte. »Es tut mir Leid, Mr. Belghazi, sehr Leid. Aber Sie waren der einzige Grund, warum diese Männer uns die Alazans nicht verkaufen wollten.«
Alazans?, dachte ich.
»›Uns‹? Wer ist ›uns‹?«
Der Mann schüttelte den Kopf.
Belghazi warf die Hände in die Luft und lachte. Das Lachen klang gefährlich, fast irre. »Recht hast du, das spielt keine Rolle! Weil ich euch die Alazans nämlich verkauft hätte. Ihr hättet nur fragen müssen!«
Wieder schüttelte der Mann den Kopf. »Die hier sind was Besonderes, das wissen Sie, und Sie wissen auch, dass Sie den vierfachen Preis verlangt hätten. Außerdem hätten Sie sie in kleiner Stückzahl an verschiedene Kunden verkauft. Aber wir brauchen alle. Wir mussten direkt kaufen, und Sie waren uns im Weg. Es tut mir Leid.«
Belghazi sagte: »Wie wollt ihr denn die Ware ohne meine Hilfe aus Hongkong rausbringen?«
Der Bodyguard nickte beinahe mitleidig, als bedauere er, seinen vermeintlichen Arbeitgeber in eine so peinliche Situation zu bringen. »Wir haben unsere eigenen Vorkehrungen für die Alazans getroffen. Es ist alles arrangiert.«
Hilger sagte: »Achille, was sind, bitte schön, ›Alazans‹? Sind etwa Raketen in den Kästen?«
Belghazi zuckte die Achseln. Er sagte: »Jim, stellen Sie keine Fragen, auf die Sie die Antwort doch nicht hören wollen, klar?«
»Sie haben doch gesagt, es sei bloß wieder eine Lieferung von leichten Waffen«, sagte Hilger eher zu sich selbst als zu Belghazi. Ich konnte mir vorstellen, was in seinem Kopf ablief: Fünf Millionen, das war doch auch viel zu viel, ich hätte mir denken können, dass da was faul ist. Verdammt, die Kerle hier versuchen, ein richtig mieses Ding durchzuziehen. Die haben mich reingelegt.
Der Bodyguard wandte sein Gesicht den Russen zu, behielt aber Belghazi weiter im Auge und sagte: »Wir wollen das Geld nicht. Sie können es behalten, es gehört Ihnen. Wir hätten Ihnen denselben Betrag gezahlt, wenn Sie uns vertraut hätten. Vielleicht vertrauen Sie uns beim nächsten Mal, weil wir ja jetzt schon ein ›gutes Geschäft‹ gemacht haben, wie Sie sagen.«
»Wir können Geld behalten?«, fragte einer der Russen.
Der Mann nickte. »Wir wollen nur die Alazans. Und beim nächsten Mal Ihr Vertrauen.«
Ich fragte mich, ob der Mann die Wahrheit sagte. Vielleicht bluffte er nur, wollte den Russen Hoffnung machen, damit sie sich ruhig verhielten. Doch selbst wenn er es ehrlich meinte, wäre es töricht von den Russen, ihm zu trauen. Die psychische Verfassung eines Kriminellen, der plötzlich erkennt, dass er das Leben eines anderen Menschen vollkommen in seiner Gewalt hat, bleibt nur selten stabil. Seine Ansprüche wachsen, seine ursprüngliche Zielsetzung wandelt sich. Ein nervöser, bewaffneter Straßenräuber, der sein Opfer vor sich kauern sieht, begreift auf einmal, dass er den Menschen nicht nur ausrauben kann, nein, er kann alles mit ihm machen. Wenn das hier also noch ein paar Minuten weiterging, konnte ich mir vorstellen, dass der Bodyguard sich dachte: Warum soll ich mir die fünf Millionen nicht unter den Nagel reißen? Es ist doch für eine gute Sache … Und an dem Punkt könnte er sich auch überlegen, dass es besser wäre, keine Zeugen oder rachsüchtige Geschädigte am Leben zu lassen.
Hilger beobachtete den Bodyguard mit skeptischer
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