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Der Verrat

Der Verrat

Titel: Der Verrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Eisler
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sah ich, dass er sich Blut aus den Augen wischte, und begriff, dass sein Zurückweichen eher Notwendigkeit war denn Taktik. Wahrscheinlich hatte er ordentlich was abbekommen, als der Van gegen die Container geprallt war.
    Er schwankte kurz, und in dieser einen Sekunde rollte ich mich nach hinten und kam wieder auf die Beine. Ich spürte einen stechenden Schmerz in der Seite, wo er mich getroffen hatte, und ich dachte: Wenn ich das hier überlebe, werde ich immer ein Messer mit mir rumtragen, egal, wie viele gute Gründe dagegen sprechen.
    Ich machte zwei Schritte rückwärts, um ein wenig Distanz zwischen uns zu bringen, und suchte dann rasch den Boden ab. Die Pistole war nirgends zu sehen. Es war zu dunkel, und es lag zu viel Zeug auf dem Boden herum: zerbrochene Holzpaletten, Containerklappen, Stücke aus dem Maschendraht. Rechts von mir war ein Haufen von Teilen, die aussahen wie übergroße Radkappen. Ich riss eine hoch, und merkte, dass sie ziemlich schwer war. Wenn sie einen Griff gehabt hätte, hätte ich sie als Schild benutzen können. So jedoch schleuderte ich sie wie ein Frisbee. Die Scheibe zischte durch die Luft direkt auf Belghazis Bauch zu. Er sprang nach links, und sie segelte an ihm vorbei. Verdammt, selbst mit dieser Kopfverletzung war er noch leichtfüßig, nicht wie ein typischer Kickboxer, sondern eher wie ein Tänzer. Er kam auf mich zu. Ich schnappte mir noch eine Metallscheibe und sah, dass ich nach noch zwei weiteren keine Munition mehr haben würde. Ich warf. Er wich erneut aus. Ich nahm die dritte und vierte und schleuderte sie schnell hintereinander. Die erste flog zu hoch, und er konnte sich darunter wegducken. Aber dadurch war er nicht mehr so beweglich und konnte der nächsten nicht mehr ausweichen, die genau auf seinen Kopf zuflog. Er hob schützend die Hand mit dem Rasiermesser, und die Scheibe prallte dagegen, schlug sie ihm gegen den Kopf. Mit tiefer Befriedigung sah ich das Rasiermesser fallen.
    Er stand auf und sah sich um, und ich machte sofort zwei große Schritte auf ihn zu. Wir blieben beide einen Moment lang ruhig stehen und starrten uns schwer atmend an. Er zog seine Hose ein Stückchen höher, um mehr Bewegungsfreiheit für seine Beine zu bekommen. Ja, dachte ich. Gib mir eins von deinen verdammten Beinen. Du kriegst es auch bestimmt zurück, wenn ich damit fertig bin.
    Aber ich musste vorsichtig sein. Seine körperlichen Fähigkeiten und seine Härte waren offensichtlich, doch ich rechnete außerdem damit, dass er ein Meister der Taktik war. Savateurs der alten Schule üben das, was sie Malice nennen, also den schmutzigen Kampf, bei dem improvisierte Waffen eingesetzt werden, Tricks, einfach alles, um zu siegen. Das Ganze geht in Fleisch und Blut über, wird zu einem Verhaltensmuster, wie ich es aus erster Hand kenne. Ich machte mich darauf gefasst, dass Belghazi das Gleiche von sich behaupten konnte.
    Ich umkreiste ihn lauernd, die Fäuste in Boxhaltung. Er machte das Gleiche, hielt die Hände aber tiefer, und es wirkte bei ihm lockerer. Wieder bewegte er sich geschmeidig und leichtfüßig. Natürlich hatte ich keineswegs die Absicht, mit ihm zu boxen oder mich auf einen Distanzkampf mit ihm einzulassen. Das war seine Spezialität, nicht meine. Aber wenn ich ihm ein vertrautes Verhalten anbot, beispielsweise das Verhalten eines Gegners, wie er es aus der Sporthalle und dem Boxring her kannte, würde sein Körper vielleicht automatisch auf die erkennbaren Stimuli reagieren, ganz ähnlich wie meiner es kurz zuvor getan hatte, als ich mit einer Judo- Ukemi gelandet war. In dem Fall würde er mich wie einen gegnerischen Savateur behandeln, was mir möglicherweise Gelegenheit bot, an ihn ranzukommen. Bestimmt war er auch ein erfahrener Ringkämpfer – Savateurs nennen ihren Ringkampfstil Lutte, eine Spielart des Griechisch-Römisch-Ringens, bei der es eher darum geht, den Gegner zu verletzen, als ihn mit einem Haltegriff zu bezwingen –, aber ich war mir ziemlich sicher, dass ich im Vorteil sein würde, falls es mir gelang, ihn zu Boden zu bringen.
    Er winkelte das rechte Bein ab, täuschte einen Kick an und setzte den Fuß wieder auf. Er wiederholte das Manöver. Und noch einmal. Als sich das erhobene Bein wieder senkte, sah ich meine Chance. Ich warf mich nach vorn. Doch das dritte Mal war keine Finte gewesen oder in Wahrheit die eigentliche Finte, und das Bein änderte die Richtung und zischte von links auf mich zu. Ich hob abwehrend den linken Ellbogen, und seine

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