Der Verrat
hinter die Tür und feuerte gleich darauf mit einer Pistole in Hilgers Richtung.
Hilger warf sich seitlich neben den Van, um Deckung zu suchen. Aber es gab keine. Der Motor des Vans heulte nämlich auf, und der Wagen machte einen Satz nach vorn. Anscheinend war Belghazi durch den Laderaum zum Fahrersitz gestürmt. Hilger schoss seitlich in den Wagen, aber offenbar vergeblich.
Ich schaltete wieder auf Dox’ Kanal. »Schieß jetzt!«, zischte ich.
»Er hält sich unten, ich kann ihn nicht sehen«, hörte ich Dox sagen. Trotz der ganzen Schießerei und Aufregung war seine Stimme fast unnatürlich ruhig. Er war durch und durch Scharfschütze.
»Dann schieß auf die Reifen!«, sagte ich.
Eine Sekunde verging. Der Van war jetzt auf gleicher Höhe mit mir. Ich würde selbst versuchen müssen, die Reifen zu zerschießen. Aus dieser Entfernung und nur mit einer Pistole schätzte ich meine Chancen nicht sehr hoch ein. Und wenn ich schoss, würden alle auf meine Position aufmerksam werden.
Aber es war doch nicht erforderlich. Der Vorderreifen auf der Beifahrerseite zerplatzte, und der Van schlingerte nach links. Eine Sekunde später folgte der Hinterreifen, und der Wangen schleuderte jäh nach rechts. Er brach durch den Maschendraht des Containerhafens und krachte etwa zehn Meter weiter in einen Stapel von fünf Containern. Der Stapel geriet ins Wanken, dann krachten die Container auf das Wagendach und landeten schließlich hinter und neben dem Van.
»Hab kein Ziel mehr«, hörte ich Dox sagen. »Kann ihn hinter den Containern nicht mehr sehen.«
»Gib mir Deckung«, sagte ich. Ich glaubte zwar nicht, dass diejenigen, die in den Schusswechsel verstrickt waren, mich sehen würden, wenn ich dreißig Meter weiter nördlich über die Straße schlich, aber ich wollte doch abgesichert sein, nur für alle Fälle. Ich stand vorsichtig auf und huschte die Böschung hinunter, die Pistole gezückt. Ich überquerte geduckt die Straße und stieg durch das Loch im Zaun, das der Van hinterlassen hatte.
Als ich auf dem Hafengelände war, wurde ich langsamer und bewegte mich vorsichtiger. Ich hielt die Pistole in der rechten Hand, den Lauf leicht nach unten gerichtet, das Handgelenk fest gegen den Solarplexus gedrückt. Die linke Hand hielt ich in Kinnhöhe und etwas seitlich vom Körper, damit ich Belghazi, falls er mich überraschend attackierte, abwehren und von der Waffe fernhalten konnte.
Die Straße war gut beleuchtet, das Containerlager dagegen ziemlich dunkel. Meine Augen hatten sich noch nicht gänzlich angepasst. Der Van war hinter den Containern versteckt, die um ihn herumstanden, und ich konnte die Fahrertür nicht sehen.
Ich schlich mich ganz langsam weiter, während meine Augen unentwegt nach rechts und links spähten und die Waffe jeweils mitschwenkte. Absuchen und einatmen. Vorderen Fuß aufsetzen. Nach vorn schieben. Halt. Position sichern. Ausatmen und weiter.
Belghazis Augen konnten sich nicht besser an die Dunkelheit gewöhnt haben als meine, aber da die Straßenlampen mich von hinten beschienen, war ich deutlich zu sehen. Ich musste ins Dunkle und ging jetzt in einem Bogen nach links.
Irgendetwas traf mich links in die Rippen wie ein Rammbock, genau an der Stelle zwischen meiner freien Hand in Kinnhöhe und der Pistole in Bauchhöhe. Ich spürte eine Explosion von Schmerz und flog im selben Moment nach hinten. Als ich auf dem Boden aufschlug, hörte ich Delilahs Stimme. Mit seinen Kicks kann er gezielt einzelne Rippen brechen.
Vielleicht aber auch vier oder fünf auf einmal.
Mein Körper absolvierte wie von selbst eine Ukemi -Fallrolle, ein Vierteljahrhundert motorische Erinnerung schaltete sich ein, ohne dass mein Bewusstsein irgendeinen Befehl gegeben hätte. Die Fallrolle verteilte die Wucht des Aufpralls und bewahrte mich vor weiteren Verletzungen. Ich lag jetzt auf dem Rücken und versuchte, die Waffe dorthin zu richten, wo er sein musste, aber er war schon über mir. Mit einer Hüftbewegung ließ er seinen Fuß vorwirbeln, und die Waffe flog mir aus der Hand. Ich spürte den Schlag bis hinauf in die Schulter.
Er trat zurück und griff in sein Jackett. Was er herauszog, blitzte im Licht von der Straße auf, und ich dachte, Rasiermesser, genau wie Delilah gesagt hatte.
Ich riss die Beine hoch, um ihn wegzutreten, und registrierte verblüfft, dass er einen Schritt zurück machte. Ich dachte: Er kennt deinen Hintergrund, er passt auf, dass er nicht zu nah rankommt, selbst mit dem Rasiermesser. Doch dann
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