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Der Verrat

Der Verrat

Titel: Der Verrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Eisler
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und er stöhnte, anscheinend nur halb bewusstlos.
    Ich kniete mich neben ihn und schob die Finger meiner freien Hand unter sein Kinn. Ich bog seinen Kopf nach hinten und setzte das Messer an.
    Eine Stimme hinter mir schrie laut auf Japanisch: »Yamero! « Halt!
    Ich erstarrte, dachte: Was denn nun?
    Ich schaute über die Schulter nach hinten. Zwei finster dreinblickende Japaner starrten mich an, und jeder von ihnen zielte mit einer Pistole in mein Gesicht. »Yamero!«, sagte der eine erneut. » Kamisori otose! « Messer fallen lassen!
    Ich kam seiner Aufforderung nach und wollte aufstehen. Aber mein rechtes Bein begann zu wackeln und knickte ein. Ich schaute nach unten und sah warum. Mein Oberschenkel war eine einzige klaffende, Blut pumpende Wunde. Mein Handgelenk sah genauso aus.
    Ich sank auf die Knie und blickte zu den Männern hoch. »Ihr seid bestimmt Belghazis neue Yakuza-Freunde, hab ich Recht?«, fragte ich sie auf Japanisch.
    Sie antworteten nicht. Neben mir fing Belghazi an, sich zu rühren.
    Vermutlich hatte er sie ein Stück weiter die Straße runter postiert, für den Fall, dass er Hilfe brauchte, und als die Schießerei anfing, waren sie vorgerückt. Vielleicht hatten sie ihn seit Macau begleitet. Klar, er wusste, dass ich wieder nach Arabern Ausschau halten würde, und er hatte sogar ein paar »Zerstreuungen« am Rande inszeniert, die mich von den wahren Akteuren ablenken sollten. Tatsu hatte Recht gehabt.
    Belghazi stöhnte und setzte sich auf, dann kam er unsicher auf die Beine. Ich beobachtete ihn mit gleichmütigem Gesichtsausdruck. Ich kniete bereits, und jetzt legte ich die Hände ruhig auf meine blutigen Oberschenkel, die Finger leicht zusammengedrückt und in einem Winkel von fünfundvierzig Grad ausgerichtet. Ich streckte Kopf und Schultern und nahm den Seiza- Sitzein, die feierliche Haltung in der traditionellen japanischen Kultur, die ein unerlässliches Element bei allen Kampfsportarten ist, bei der Teezeremonie und vor allem während der würdevollen letzten Augenblicke vor dem Seppuku, der rituellen Selbsttötung.
    Belghazi stand schwankend da und hielt sich den gebrochenen Arm, während ihm aus einer Platzwunde auf der Stirn Blut übers Gesicht strömte. Anscheinend hatte ihm einer meiner Faustschläge die Nase gebrochen. Sein Körper erbebte, und dann beugte er sich vor und kotzte. Seine Männer sahen schweigend zu.
    Er erbrach sich ein paarmal, dann wischte er sich mit der unverletzten Hand übers Gesicht. Einige Augenblicke blieb er so vorgebeugt stehen und schöpfte Atem. Schließlich richtete er sich auf und sagte mit rauer Stimme auf Englisch zu mir: »Wie habt ihr mich aufgespürt?«
    Ich achtete nicht auf ihn. Offenbar hatte mich mein Glück endgültig verlassen. Ich erwartete keine Hilfe von Dox. Schließlich wurde direkt vor seiner Nase um eine Tasche mit fünf Millionen gekämpft, und vielleicht würde er sich die unter den Nagel reißen können. Ich konnte nicht ernsthaft erwarten, dass er sich die Chance entgehen ließ. Ich war jetzt allein, wie immer, und es sah alles andere als gut für mich aus.
    »Sag mir, wie ihr mich aufgespürt habt, und ich verspreche, dass ich dich schnell töte. Wenn nicht, musst du leiden.«
    Meine Gedanken gerieten ins Trudeln. Ich hörte seine Fragen kaum. Die Dringlichkeit seines Tones kam mir seltsam vor, lächerlich. Ich fragte mich vage, ob mein Blutverlust schon Wirkung zeigte.
    »Ich frage dich jetzt ein letztes Mal«, sagte er. Ich registrierte, dass er das Rasiermesser aufgehoben hatte. »Dann schlitze ich dir das Gesicht auf.«
    Ich blickte auf den Hafen hinaus und hatte das überaus merkwürdige Gefühl, irgendwie mit ihm verbunden zu sein, dass mein Geist meinen Körper verließ und sich ausdehnte. Irgendwie erstaunte es mich auch, wie angstfrei ich war. Letztlich erwischt der Tod jeden, und ich hatte mir nie irgendwelche Illusionen gemacht, dass ich ihm auf Dauer entwischen könnte. Dass er sich so lange Zeit gelassen hatte, schrieb ich eher seinem Verlangen zu, mich zu verspotten, als dem echten Wunsch zu warten. Der Tod war dieses Spiels überdrüssig geworden und hatte endlich beschlossen, das einzufordern, was wir ihm alle schulden.
    Na los, komm und hol’s dir, dachte ich. Mach schon, nimm dir, was dir gehört. Erstick doch daran.
    Ein seltsamer Laut ertönte, leiser als der Knall eines Champagnerkorkens, lauter als das Zischen einer Mineralwasserflasche. Ich hob den Blick und sah verblüfft, wie ein feiner Sprühnebel aus dem

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