Der Verrat
lächelte mich an. »Nein, nicht unten. Im Oriental. Mit einer hübschen Asiatin. Ist sie heute Abend nicht bei Ihnen?«
»Sie wohnen im Oriental?«, fragte ich und wich seiner Frage aus, wie jeder Ehebrecher mit Selbstachtung es tun würde, wenn er von einem Fremden nach seiner Geliebten gefragt würde.
»Es ist ein gutes Hotel«, antwortete er, selbst ein wenig ausweichend.
Ich war beeindruckt. Ich hatte darauf geachtet, in keiner Weise aufzufallen oder sonst irgendeinen bleibenden Eindruck zu hinterlassen, und er hatte mich dennoch bemerkt. Er besaß ein feines Sensorium für seine Umgebung, für die Muster, die irgendwann mal den entscheidenden Unterschied zwischen Gewinnen und Verlieren ausmachen konnten. Oder zwischen Leben und Sterben.
Der Croupier forderte die Spieler auf, ihre Einsätze zu machen. »Ja«, sagte ich und setzte den Mindestbetrag von rund zehntausend US-Dollar auf die Bank, »aber für Baccarat ist das hier die beste Adresse.« Belghazi nickte und setzte fünfzigtausend auf den Spieler, wandte sich dann dem Bankhalter zu und beobachtete, wie das Blatt ausgeteilt wurde. Diese Bewegung verriet mir, dass meine Anwesenheit ihn eigentlich nicht beunruhigte. Sonst hätte er mir nicht den Rücken zugewandt.
Der Bankhalter reichte dem Kartengeber die erste Karte. Während er das tat, beugte ich mich vor und legte die Hände übereinander, so dass die Finger der rechten Hand auf der Traser P5900 1 lagen, die ich am linken Handgelenk trug. Auf der Unterseite der Uhr befand sich eine daumennagelgroße Plastikkapsel mit einem kleinen Cocktail darin, der wohl kaum von den Bardamen des Kasinos serviert werden würde. Die fragliche Mischung bestand aus Staphylokokkus aureus – ein Bakterium, das sehr rasch eine Lebensmittelvergiftung auslöst – und Chloralhydrat, einem Nervengift, das innerhalb von ein bis vier Stunden zu Erbrechen, Desorientiertheit und Bewusstlosigkeit führt. Ersteres würde Belghazi eilig zurück ins Hotel treiben. Letzteres würde dafür sorgen, dass er zwar nicht sonderlich entspannt, aber doch tief und fest schlief, wenn er dort war. Ich löste die Kapsel und schob sie zwischen Mittel- und Zeigefinger der rechten Hand. Ich würde den richtigen Moment abpassen – wenn Belghazi mal wieder den Kopf abwandte oder durch einen fetten Gewinn oder Verlust eines der Spieler abgelenkt wurde – und dann handeln.
Mein Plan brachte noch ein weiteres wichtiges Plus mit sich: Die Symptome einer Staphylokokkeninfektion sind dermaßen akut und setzen so schnell ein, dass Belghazi aller Wahrscheinlichkeit nach alleine oder zumindest vor der blonden Frau ins Hotel zurückkehren würde. Und selbst wenn sie mitkam oder kurz nach ihm kam, konnte es durchaus sein, dass er sie wieder wegschickte, um die Auswirkungen seines rebellierenden Magens ungestört erdulden zu können.
Ich gewann die erste Runde. Gut so. Schließlich wusste ich nicht, wie lange das Ganze dauern würde, und trotz der günstigen Gewinnchancen beim Baccarat und des gemächlichen Spielrhythmus würde Kanezakis Geld nicht ewig reichen.
Eine hübsche Kellnerin kam vorbei. Belghazi bestellte sich ein Tonic Water. Bei fünfzigtausend pro Spiel wollte er vermutlich ein wenig Alkoholdisziplin wahren. Ich tat es ihm gleich.
Die Blondine beugte sich zu Belghazi hinüber und sagte: »Je vais essayer les tables de dés. Je serai de retour bientôt. « Ich gehe mal zu den Craps-Tischen. Ich komme später wieder. Sie stand auf und ging.
Perfekt. Ich warf ihr einen verstohlenen Blick hinterher, einen ganz kurzen, den Belghazi weder befremdlich noch respektlos finden würde. Passend zu der Bolerojacke trug sie einen schwarzen Rock. Ihre Beine waren umwerfend, und sie ging mit dem unprätentiösen Selbstbewusstsein einer Frau, die vor langer Zeit erkannt hat, dass sie schön ist, und diese Tatsache inzwischen weder ungewöhnlich findet noch sonderlich betonenswert.
Bei der nächsten Runde verdoppelte Belghazi seinen Einsatz. Ich blieb beim Minimum. Diesmal gewannen wir beide.
Die Kellnerin brachte die Getränke auf einem Silbertablett. Sie stellte Belghazis Glas neben ihm auf den Tisch und beugte sich vor, um mit meinem ebenso zu verfahren. Er hatte den Blick auf den Bankhalter gerichtet, der gerade wieder geben wollte. Jetzt.
Ich erhob mich halb und griff mit beiden Händen nach meinem Glas, als wollte ich um Himmels willen nichts verschütten. In dem Moment, als meine Hand über Belghazis Glas war, hielt ich kurz inne, drückte die
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