Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Verrat

Der Verrat

Titel: Der Verrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Eisler
Vom Netzwerk:
sicherer ist als das letzte?«
    Sie wusste nichts Genaues. Nur dass ich durch das, was ich beruflich machte, mit zwielichtigen Gestalten in Kontakt kam, und dass es uns beide in Tokio fast das Leben gekostet hätte. »Wenn ich Glück habe«, antwortete ich.
    »Du siehst fit aus. Treibst wohl viel Sport?«, bemerkte sie.
    Ich lächelte. »Pilates.«
    »Und du bist braun gebrannt. Kann man in Tokio so viel Farbe bekommen?«
    Sie schoss sich langsam ein. Ich hätte es mir denken können.
    Vielleicht hast du das ja. Vielleicht wolltest du es so.
    Aber ich war noch nicht so weit, ihr die Wahrheit zu sagen. »Du weißt ja, wie schnell das geht, bei dem dauernden Neonlicht«, entgegnete ich.
    Sie lachte nicht. »Ich hab das Gefühl, dass du schon eine ganze Weile in Rio bist.«
    Ich schwieg.
    »Warum hast du so lange gewartet?«, fragte sie nach einer Pause. »Bis du gekommen bist. Ich bin nicht böse, nur ein bisschen verletzt. Aber ich will wissen, warum.«
    Ich trank wieder einen Schluck und überlegte. »Ich kann eine Gefahr sein für die Menschen, denen ich nahe komme«, sagte ich nach einem Moment. »Vielleicht hast du das schon in Tokio gemerkt.«
    »Das ist lange her. Und weit weg.«
    Ich nickte und musste an Holtzer denken, den verstorbenen Leiter der CIA-Dienststelle in Tokio. Wie er in meinem Leben aufgetaucht war, ähnlich einer nicht richtig ausgeheilten Krankheit, und es ihm um ein Haar gelungen wäre, mich umzubringen. Daran, dass die CIA geduldig Midori beobachtet hatte, weil sie hofften, über sie an mich ranzukommen. »Es ist nie lange genug her. Und nie weit genug weg«, sagte ich.
    Wir schwiegen eine Weile. Schließlich sagte sie: »Wir lange bleibst du in Rio?«
    Ich sah mich um. »Ich will dein Leben nicht unnötig verkomplizieren«, sagte ich.
    »Bist du etwa deswegen den weiten Weg hergekommen? Um mir das zu sagen? Dafür hätte eine Scheißpostkarte gereicht.«
    In Tokio hatte ich versucht, ihrem Charme zu widerstehen, weil ich wusste, dass es kein gutes Ende nehmen würde. Daran hatte sich nichts geändert.
    Und trotzdem war ich hier.
    »Ich würde gern ein Weilchen bleiben«, antwortete ich. »Falls du nichts dagegen hast.«
    Sie schenkte mir ein kleines Lächeln. »Wir werden sehen«, sagte sie.
    In dieser Nacht schliefen wir miteinander, ebenso in den darauf folgenden Nächten. Sie hatte ein kleines Apartment in der Nähe der Lagoa Rodrigo de Freitas, nicht weit von den übervölkerten Stränden und schicken Boutiquen von Ipanema entfernt. Aus einem ihrer Fenster war Rios Hausberg Corcovado, »der Buckelige«, zu sehen, auf dem die gewaltige, beleuchtete Statue Cristo Redentor, Christus der Erlöser, aufragte, den Kopf geneigt, die Arme ausgestreckt, um die Stadt unter ihm zu segnen. In manchen Nächten, wenn Naomi schlief, blickte ich hinaus auf die riesige Figur. Ich starrte die fernen Konturen der Statue an, forderte sie vielleicht heraus, irgendwas zu tun – mich niederzustrecken, wenn sie wollte, oder irgendein anderes Zeichen von Empfindungsfähigkeit zu zeigen – und dann, nach einer ereignislosen Zeitspanne, wandte ich mich stets unbefriedigt ab. Die Statue schien mich mit ihrer Stille und Reglosigkeit zu verspotten, als wollte sie mir, wenn überhaupt etwas, nicht etwa Erlösung verheißen, sondern eher Rache, und zwar zu einem Zeitpunkt, den sie bestimmen würde, nicht ich.
    An einem regnerischen Morgen, ungefähr einen Monat, nachdem ich Naomi im »Scenarium« aufgesucht und mich dann regelmäßig mit ihr traf, ging ich aus der Wohnung, um im Gracie Barra zu trainieren. Es war ein Freitag, und das Training würde in Shorts und T-Shirts stattfinden, nicht in den schweren Baumwoll -Judogi. Ich ging die Treppe hinauf in den zweiten Stock, streifte meine Sandalen ab und trat auf die Matte.
    Am anderen Ende des Raumes hing ein muskelbepackter Mann an der Stange vor dem gemalten Tasmanischen Teufel, der als Logo der Schule und als Maskottchen dient. Der Mann war barfuß und trug nur marineblaue Shorts, und auf seinem nackten Oberkörper glänzte ein öliger Schweißfilm. Er sah mich hereinkommen und ließ sich mit einer trotz seiner Masse geschmeidigen und lautlosen Bewegung auf den Boden fallen.
    Das rötlichblonde Haar war jetzt länger, noch länger als der Pferdeschwanz, den er früher getragen hatte, und statt des alten Vollbarts hatte er einen Spitzbart, aber ich erkannte ihn sofort. Er hatte damals den Decknamen Dox. Er war ein Exmarine, einer von den Elitescharfschützen, und er

Weitere Kostenlose Bücher