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Der Verrat

Der Verrat

Titel: Der Verrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Eisler
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war wie ich während der Reagan-Ara von der CIA rekrutiert worden, um die afghanischen Mudschaheddin auszubilden, die damals gegen die sowjetischen Invasoren kämpften. Wir hatten jeder zwei Jahre bei den Menschen verbracht, die Uncle Sam zum damaligen Zeitpunkt liebevoll Muj nannte und die in letzter Zeit weniger herzlich als Taliban und Al-Qaida bezeichnet werden, und seitdem hatte ich ihn weder gesehen noch vermisst.
    Er kam auf mich zu und ein Grinsen breitete sich über sein Gesicht. »Woll’n wir ein bisschen rumrollen?«, fragte er in dem näselnden Südstaatentonfall, den ich von ihm kannte.
    Ich registrierte, dass er keine Möglichkeit hatte, eine Waffe oder ein Mikro an seinem Körper zu verstecken. Ich fragte mich, ob er seine Kleiderwahl bewusst getroffen hatte, um mich zu beruhigen. Dox spielte gerne den Provinztölpel, und viele Leute waren schon darauf reingefallen. Aber ich wusste, dass er auch feinfühlig sein konnte, wenn er wollte.
    Ganz offensichtlich ging es ihm nicht um einen freundschaftlichen Besuch, aber ich fühlte mich nicht unmittelbar bedroht. Falls Dox irgendwelche finsteren Absichten gehabt hätte, wäre der zweite Stock im Gracie Barra für deren Umsetzung ein ziemlich ungeeigneter Ort gewesen. Er war unverkennbar ein Ausländer, hatte sich bestimmt am Empfang angemeldet und hätte es mit Dutzenden von Zeugen zu tun.
    »Ich muss mich erst aufwärmen«, sagte ich, ohne das Grinsen zu erwidern.
    »Scheiße, Mann, ich bin schon aufgewärmt. Und bald bin ich wieder abgewärmt. Ich bin seit einer Stunde hier und warte auf irgendwen, mit dem ich trainieren kann.« Er wippte ein paarmal auf den Zehenspitzen hoch und beugte seine beachtlichen Arme.
    Ich schaute mich um. Obwohl die morgendlichen Kurse im Barra meist schlechter besucht sind als die Abendkurse, übten schon rund zwanzig Leute auf der Matte, manche davon in Hörweite. Ich beschloss, mir die Fragen, die ich ihm stellen wollte, für später aufzusparen.
    »Wieso fragst du nicht einen von den Burschen da?«, fragte ich und sah zu den anderen Männern hinüber, die trainierten.
    Er schüttelte den Kopf. »Mit ein paar von denen hab ich schon ein Tänzchen gewagt.« Er lächelte, fügte dann hinzu. »Ich glaube, sie mochten mich nicht. Ich glaube, die finden mich … unorthodox.«
    »Unorthodox«, das war der Ursprung für seinen Decknamen. Er war einer der jüngeren von uns Auserlesenen gewesen und hatte sein geliebtes Marinecorps kurz zuvor unter nebulösen Umständen verlassen. Man munkelte, dass er einen Vorgesetzten zusammengeschlagen hatte, doch Dox selbst sprach nie davon. Was auch immer passiert war, offenbar spornte es den jungen Mann – der anders als die meisten seiner Kameraden in Afghanistan ein bisschen zu jung für den Einsatz in Vietnam gewesen war – geradezu an, sich zu beweisen. Obwohl er eigentlich nur als Ausbilder fungieren sollte, begleitete er die Muj gerne bei ihren Überfällen und hatte sich dadurch einiges Ansehen verschafft. Er fand seinen eigenen Weg, wurde bekannt für seine ungewöhnlichen, ja bizarren Taktiken, bei denen normalerweise irgendwelche selbstgebastelten Zündmechanismen eine Rolle spielten, die die Sowjets dazu brachten, auf einen Feind zu feuern, der sich schon längst wieder in unzugängliche Bergregionen zurückgezogen hatte. Er beschränkte sich auch nicht darauf, neue Scharfschützen auszubilden – er zog selbst los und ging auf die Jagd.
    Ich erinnerte mich, dass auch seine Methoden, sich körperlich fit zu halten, unkonventionell waren: Er machte Gewichtheben mit Benzinfässern, und manchmal stand er eine halbe Stunde und länger auf dem Kopf, die Hände im Nacken verschränkt. Eine Menge Leute hatten ihn wegen seiner seltsamen Angewohnheiten und seines naiv jungenhaften Auftretens unterschätzt. Ich würde diesen Fehler nicht machen.
    »Ich melde mich, wenn ich so weit bin«, erklärte ich, ließ den Kopf kreisen und lockerte so den Nacken.
    Er grinste mich erneut an. »Ich warte dann hier.«
    Er ging zur Wand und schwang sich in einen Kopfstand. Herrje, der machte den Quatsch immer noch.
    Ich dehnte mich und machte dann eine Serie Hindu-Kniebeugen, Ringerbrücken und andere Übungen, bis ich mich locker genug fühlte. Dann stand ich auf und winkte Dox, der mich im Kopfstand beobachtet hatte. Er senkte die Beine zum Boden, richtete sich auf und kam herübergeschlendert.
    »Du bist gut, Mann, das seh ich. Du rollst total locker durch die Ringerbrücke. Du hast dich in Form

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