Der Verrat
gleichkam.
Ich wurde unruhig, und meine Unruhe lieferte einen fruchtbaren Nährboden für Erinnerungen an Naomi. Daran, wie sie mir in jener ersten langen gemeinsamen Nacht »Komm mit rein!« ins Ohr geflüstert hatte. Daran, wie sie ins Portugiesische verfiel, wenn wir uns liebten. An ihr Angebot, Harry zu helfen, der für mich nicht bloß ein Mitarbeiter gewesen war, sondern einer meiner wenigen Freunde – ein Angebot, das ebenso aufrichtig wie am Ende nutzlos gewesen war. Und an mein Versprechen bei unserer letzten Begegnung, dass ich zu ihr nach Brasilien kommen würde, dass ich sie nicht warten und darüber nachgrübeln lassen würde, ob mir etwas zugestoßen war.
So wie du es mit Midori gemacht hast.
Dafür hab ich bezahlt, vielen Dank.
Ich gestand mir ein, dass es schön war mit Naomi. Warm und wohltuend und emotional unkompliziert. Es war nicht das, was ich mit Midori gehabt hatte, oder beinahe gehabt hätte, aber das würde ich ohnehin nie wieder bekommen, und ich versuchte, mich deswegen so wenig wie möglich zu geißeln. Mich bei ihr zu melden wäre egoistisch, das wusste ich, weil sie unsere Beziehung in Tokio beinahe mit dem Tod bezahlt hätte, und trotz meines Ortswechsels und all der anderen Vorsichtsmaßnahmen war längst nicht ausgeschlossen, dass wieder etwas Ähnliches passieren könnte. Aber ich ertappte mich dabei, dass ich ständig an sie dachte und überlegte, ob es vielleicht irgendwie klappen könnte. Japan war weit weg. Ich war jetzt Yamada, oder etwa nicht? Und Naomi war der Mensch, der sie nun mal in Brasilien war. Wir könnten neu anfangen, von vorn anfangen.
Ich hätte es besser wissen müssen. Aber jeder kennt solche dummen Augenblicke, die Schönfärberei, ja Blindheit, die aus Schwäche und menschlicher Bedürftigkeit erwächst.
Naomis japanische Mutter war seit vielen Jahren tot, aber sie hatte mir den Namen ihres Vaters genannt, David Leonardo Nascimento, und sie hatte mir gesagt, dass ich ihn in Salvador finden würde. Nascimento ist in Brasilien ein weit verbreiteter Name, aber im Telefonbuch von Salvador, das ich in der Stadtbibliothek von Rio einsah, gab es keinen David Leonardo. Eine Internetsuche erwies sich als erfolgreicher: David Leonardo Nascimento leitete offenbar eine in Salvador ansässige Firma, die im Fertigungsbereich, Immobilienmarkt und Baugewerbe tätig war.
Ich hätte einfach anrufen und fragen können, wo Naomi zu erreichen war, aber ich wollte nicht, dass zwischen der Kontaktaufnahme und unserem ersten Treffen ein zu langer Zeitraum lag. Ich redete mir ein, dass dieser Wunsch logisch war und aus meinen üblichen Sicherheitsbedenken erwuchs, aber im Grunde wusste ich, dass er auch persönliche Beweggründe hatte. Ich wollte am Telefon nicht zu viel erzählen müssen, wollte keine Fragen beantworten müssen, wo ich war und was ich getrieben hatte, wollte nicht erklären, warum es so lange gedauert hatte, bis ich mich bei ihr meldete. Es war besser, das alles unter vier Augen mit ihr zu besprechen.
Salvador war zwei Flugstunden von Rio entfernt, und als ich diese neue Stadt erkundete, fiel mir wie jedes Mal bei meinen Reisen durch das riesige Brasilien auf, wie unterschiedlich doch die Regionen waren. Salvador lag näher am Äquator und war heißer als Rio, die Luft irgendwie satter, feuchter. In Rio schienen die allgegenwärtigen Granitklippen einen Blick auf das starke Knochengerüst des Landes zu gewähren. In Salvador war überall rote Erde, die eher an eine Hülle aus weicher Haut erinnerte. Und die Menschen waren dunkler: eine Auswirkung des afrikanischen Einflusses in dem Gebiet, der sich auch in den Barockverzierungen der Kolonialkirchen niederschlug. Ebenso wie im hypnotisierenden Rhythmus der Candomblé- Musik,in den fließenden Tanzbewegungen des Capoeira mit seiner faszinierenden Mischung aus Tanz, Kampf und Gymnastik, begleitet von dem Spiel des mit Draht bespannten Berimbau und dem mitreißenden Rhythmus der Conga.
Nascimento wurde von seinen Sekretärinnen gut abgeschirmt, und es ging etliche Male hin und her, bis ich ihn endlich am Apparat hatte. Er sagte, dass Naomi ihm von einem Freund aus Japan erzählt habe, jemand namens John, dass das aber schon eine ganze Weile her sei. Ich bestätigte das und wartete. Nach einer längeren Pause verriet er mir dann, dass seine Tochter in Rio lebe und in einer Bar namens »Scenarium« auf der Rua do Lavradio arbeite. Er gab mir die Telefonnummer. Ich dankte ihm und machte mich schmunzelnd gleich
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