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Der Verrat

Der Verrat

Titel: Der Verrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Eisler
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Büro«, sagte er. »Wen soll ich ihr melden?«
    Ich stockte, sagte dann: »Ihren Freund aus Japan.«
    Er nickte und entfernte sich. Ich ging bis zum Ende des Raumes und trat hinaus auf die Balkone mit Blick auf die Rua do Lavradio. Ich lehnte mich gegen das Geländer, das narbig und abgegriffen wie Treibholz war, und spürte die altvertraute, surreale Ruhe in mir aufkommen, die ich immer kurz vor den letzten Augenblicken eines Auftrags empfinde, wie ein Scharfschütze, der sich für seinen Schuss entspannt. Jetzt war nichts mehr zu ändern. Es würde kommen, wie es kam.
    Ein paar Minuten verstrichen. Ich hörte hinter mir die Dielenbretter knarren, als sich jemand rasch näherte. Ich drehte mich um und sah Naomi. Ihr Haar war länger als damals in Tokio, ihre karamellfarbene Haut dunkler, und als sie mich entdeckte, hellte sich ihr Gesicht zu einem breiten Lächeln auf. Dann war sie in meinen Armen, zog mich an sich und umschloss mich fest.
    Sie roch so, wie ich es in Erinnerung hatte, lieblich und irgendwie auch wild, ihr ureigener Duft, den ich immer mit Hitze und Nässe und tropischer Leidenschaft in Verbindung bringen werde. Auch ihr Körper fühlte sich gut an, zart, aber an den richtigen Stellen üppig, und die Kombination aus ihrem Duft und dem Gefühl, sie plötzlich in den Armen zu halten, löste in meinem Kopf einen Wirbel widersprüchlicher Erinnerungen aus.
    Nach einer Weile wich sie zurück und schaute mich an. Dann boxte sie mich in die Schulter, fest. Ihre Miene war gespielt empört, aber ich bemerkte auch echten Kummer in ihren Augen.
    »Weißt du, wie oft ich mir vorgenommen habe, dass ich genau das nicht tun werde?«, fragte sie in ihrem portugiesisch eingefärbten Englisch.
    »Wie oft denn?«
    »Sehr oft. Das letzte Mal eben, als ich die Treppe hochkam.«
    »Ich bin froh, dass du nicht auf dich gehört hast.«
    »Wieso hast du nicht angerufen? Wieso hast du so lange gewartet? Ich dachte schon, du hättest vielleicht kein Interesse an mir. Oder dass dir doch noch irgendwas zugestoßen wäre.«
    Ihre grünen Augen waren so ernst. Ich musste lächeln. »Ich musste ein paar Dinge in Tokio regeln«, sagte ich. »Das hat eine Weile gedauert.«
    »Du kommst gerade aus Tokio?«
    »Ich war ziemlich viel unterwegs.«
    »Müssen wir Geheimnisse voreinander haben, nach allem, was zwischen uns war?«
    »Erst recht nach allem, was zwischen uns war«, sagte ich, und es war die Wahrheit. Aber sie sah gekränkt aus, deshalb fügte ich hinzu: »Lass uns doch erst mal ein bisschen Zeit miteinander verbringen, ja? Es ist schon so lange her.«
    Stille trat ein. Sie nickte und sagte: »Möchtest du was trinken?«
    Ich nickte ebenfalls. »Liebend gern.«
    »Einen Single Malt?«, sagte sie in Erinnerung an alte Zeiten.
    Ich lächelte. »Wie wär’s stattdessen mit einem Caipirinha?« Der Caipirinha ist Brasiliens Nationalgetränk, und ich hatte inzwischen Geschmack an dem Gemisch aus Zuckerrohrschnaps, Limette, Zucker und Eis gefunden.
    Sie lächelte. »Du wirst es nicht bereuen«, sagte sie. »Wir machen hier einen prima Caipirinha.«
    Ich hob die Augenbrauen. »Wir?«
    Ihr Lächeln wurde noch breiter. »Ich bin Mitinhaberin.«
    »Donnerwetter«, sagte ich, schaute mich um und sah dann wieder sie an. »Wie ist das denn gekommen?«
    Sie lächelte und sagte: »Zuerst der Caipirinha.«
    Wir setzten uns im Halbdunkel des zweiten Stocks nah an die Fenster, durch die frische Luft hereinströmte. Ein Kellner brachte uns einen Krug Caipirinha und zwei Gläser. Der Cocktail war so köstlich, wie Naomi versprochen hatte: säuerlich und doch süß, kalt und stark, mit dem Aroma der Tropen.
    Ich erkundigte mich, wie sie es zur Mitinhaberin von einem Lokal wie dem »Scenarium« gebracht hatte, und sie erklärte, dass es teilweise Glück war, teilweise aber auch mit den Beziehungen ihres Vaters zu tun hatte. Die Regierung investierte in die Sanierung des Stadtteils Lapa – was die Renovierungen erklärte, die mir aufgefallen waren – und förderte die Neugründung von Unternehmen in dem Gebiet mit Steuerermäßigungen. Sie hatte etwas Geld gespart und verfügte durch ihre Zeit in Tokio über Erfahrungen in der Unterhaltungsbranche. Also brachte ihr Vater sie mit einer Gruppe von Leuten zusammen, die vorhatten, eine Bar mit Restaurant zu eröffnen.
    »Und du?«, fragte sie mich. »Was hast du so getrieben?«
    Ich trank einen Schluck Caipirinha. »Ich habe viel nachgedacht. Versucht, ein neues Geschäft aufzubauen.«
    »Eins, das

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