Der Verrat
gekommen zu sein. Dieser Jemand würde mit Sicherheit kein Sterbenswörtchen darüber verlieren, wo er es her hatte.
Zurück in meinem Zimmer nahm ich eine besonders lange, besonders heiße Dusche. Dann zog ich mich an, packte meine Sachen und fuhr in die Lobby hinunter. An der Rezeption sagte ich, dass sich meine Pläne plötzlich geändert hätten und ich deshalb früher als geplant abreisen müsste. Sie erwiderten, dass sie mir die kommende Nacht trotzdem in Rechnung stellen müssten. Ich sagte, dass ich dafür natürlich vollstes Verständnis hätte.
Ich fuhr mit dem Taxi zur Fähre. Auf dem Weg sah ich weder Polizeiabsperrungen noch Spurensicherer auf der Suche nach Beweisen und auch sonst deutete nichts auf ein behördliches Interesse an dem, was zuvor hier geschehen war. Eher das Gegenteil war der Fall: Anscheinend war die Ordnung möglichst schnell wiederhergestellt worden. Ich hatte die Prioritäten der Gesetzeshüter in Macau richtig eingeschätzt.
Ich ging zum Turbojet-Schalter, um ein Ticket zu kaufen. Die Verkäuferin teilte mir mit, dass für die nächste Fähre nur noch Erste-Klasse-Tickets erhältlich seien. Ich antwortete, ein Erste-Klasse-Ticket sei völlig in Ordnung.
Sobald ich an Bord war, machte ich es mir in meinem Erste-Klasse-Sitz bequem und sah zu, wie die Lichter von Macau in der Ferne verblassten. Ich spürte, dass ich mich allmählich entspannte.
Ja, es gab Probleme. Die Geheimhaltung, auf die ich angewiesen bin, um meine Arbeit zu machen und hinterher lebend davonzukommen, war verletzt worden. Und obwohl bislang nur Indizien dafür sprachen, sah es ganz so aus, als sei Belghazi hinter mir her, was es ungemein schwierig machen würde, in seine Nähe zu kommen und das zu Ende zu bringen, was ich begonnen hatte.
Die Sache im Fahrstuhl war knapp gewesen, aber noch einmal gut gegangen. Vielleicht war das ja ein gutes Zeichen. Ein bisschen Glück ist doch das beste Wohlfühlrezept. Das und jemanden getötet zu haben, der es auf einen selbst abgesehen hatte.
Ich würde mich später mit dem Problem befassen. Solange ich auf der Fähre war, konnte ich ohnehin nichts unternehmen. Meine Entspannung wurde noch tiefer, und ich gönnte mir sogar ein kleines Nickerchen während der Fahrt. Ich wachte erfrischt auf. Die Hongkong-Skyline ragte bereits vor mir auf. Ihre stolzen Türme stellten die Umrisse der Berge dahinter in den Schatten, wie Lichtkristalle, die aus der Erde herausgebrochen waren, um den Himmel zu bevölkern und den Hafen zu beherrschen.
Die Stadt des Lebens, so wurde sie von der hiesigen Tourismusindustrie gern bezeichnet. Ich fand die Beschreibung passend. Zumindest vorläufig.
2
Diese Welt –
Womit sie vergleichen?
Felder im Herbst,
im Abenddunkel erhellt
von zuckenden Blitzen.
MINAMOTO-NO-SHITAGO,
Edelmann, Gelehrter, Poet
6
VON EINEM ÖFFENTLICHEN TELEFON AUS RIEF ICH DAS HONGKONG Peninsula an und reservierte ein Luxuszimmer mit Blick auf den Hafen. Ich mag das Peninsula, weil es einen kompletten Häuserblock in Kowloons Distrikt Tsim Sha Tsui einnimmt, fünf separate Eingänge, etliche Fahrstühle und mehr Treppenhäuser hat, als man zählen kann. Für einen Hinterhalt denkbar ungeeignet.
Außerdem zählt es zu den besten Hotels in Hongkong. Nach dem harten Tag war gegen ein bisschen Luxus in Verbindung mit der üblichen Dosis Sicherheit nichts einzuwenden.
Ich konnte mir vorstellen, was Harry gesagt hätte: Willst du bei ihr Eindruck schinden?
Nee. Mir geht’s nur um die Sicherheit, hätte ich ihm geantwortet.
Und er hätte mir das selbstverständlich nicht geglaubt. Plötzlich fehlte er mir, und einen Moment lang fühlte ich mich trostlos.
Ich ging über Umwege zum Hotel und checkte ein. Ich zahlte das Zimmer mit einer Kreditkarte, die auf den Namen Toshio Okabe lief, eine hinreichend abgesicherte Identität, die ich von Zeit zu Zeit für Transaktionen dieser Art benutze. Ein Page begleitete mich zu Zimmer 2311. Es lag auf der Südseite des Peninsula Tower und bot, wie versprochen, einen hinreißenden Blick auf den Hafen und die Skyline von Hongkong dahinter.
Ich rasierte mich in der Dusche und aalte mich dann zwanzig Minuten lang in der übergroßen Badewanne. Seit ich Tokio vor zwei Jahren verlassen hatte, war ich zu meinem Schutz gezwungen gewesen, meist in namenloseren, weniger anspruchsvollen Häusern abzusteigen, und, Menschenskind, dieses Luxuszimmer mit Hafenblick im Peninsula war eine echte Wohltat.
Ich zog eine anthrazitfarbene
Weitere Kostenlose Bücher