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Der Verrat

Der Verrat

Titel: Der Verrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Eisler
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Hongkong und Macau konfrontiert worden war.
    Mit dem Zimmertelefon rief ich das frisch erworbene Prepaid-Handy an, nahm den Anruf entgegen, ging aus dem Zimmer und zog die Tür hinter mir zu. Ich stöpselte einen Ohrhörer in das Handy ein und lauschte. Die Musik war leise, aber vernehmbar. Solange ich sie im Hintergrund hören konnte, war die Verbindung gut.
    Ich ging die Treppe hinunter in den fünften Stock. Zimmer 544 lag am Ende eines Ganges, und etwa drei Meter gegenüber befand sich der Eingang zu einem der Treppenhäuser. Ich wartete hinter der Tür zum Treppenhaus, die ein Glasfenster hatte, durch das ich das Zimmer beobachten konnte. Falls jemand mein Telefonat mit Delilah belauscht hatte, was unwahrscheinlich war, oder falls sie beschlossen hatte, ihre Leute von meinem Aufenthaltsort zu unterrichten, was ich für weniger unwahrscheinlich hielt, würde ich von hier aus sehen, wenn sie kamen. Wenn sie versuchten, so wie ich die Treppe zu nehmen, würde ich sie kommen hören. Und wenn es jemandem doch irgendwie gelang, in mein Zimmer einzudringen, würde ich das über das Handy mitkriegen. Mehrfache Absicherung. Ein absolutes Muss.
    Fünfzehn Minuten später kam Delilah. Sie ging an meinem Versteck vorbei, und ich spähte in die Richtung, aus der sie gekommen war, um mich zu vergewissern, dass sie niemanden mitgebracht hatte. Als ich meiner Sache sicher war, öffnete ich die Tür und sagte: »Delilah. Hier bin ich.«
    Sie wandte sich um und sah mich an. Sie schien nicht sonderlich überrascht zu sein, was mich wiederum nicht überraschte. Sie kannte meine Gepflogenheiten und hatte wohl kaum erwartet, dass ich zur vereinbarten Zeit am vereinbarten Ort sein würde.
    Ich hielt ihr die Tür auf, und sie ging an mir vorbei. Harrys Detektor, dessen Akku ich im Laufe des Tages wieder voll aufgeladen hatte, schlief ruhig in meiner Tasche. Sie war nicht verwanzt.
    Ich führte sie über verschiedene Treppen und Gänge zurück zu meinem Zimmer und lauschte dabei die ganze Zeit aufmerksam über den Ohrhörer. Alles, was ich aus dem Zimmer vernahm, waren die ruhigen Klänge von Lynne Arriale und den anderen. Keiner von uns sagte ein Wort. Alles lief reibungslos.
    Ich schloss die Tür zu meinem Zimmer auf, und wir gingen hinein. »Entschuldigen Sie die Umstände«, sagte ich und nahm den Ohrhörer raus. Ich schaltete das Handy aus und ließ es gleich neben der Tür liegen.
    Die Entschuldigung war mechanisch, ebenso wie das Achselzucken, mit dem sie darauf reagierte. Ich verriegelte die Tür hinter uns.
    In dem Gefühl, erst mal in Sicherheit zu sein, registrierte ich nun weitere Einzelheiten. Ihr Kleid war nachtblau und aus einem irgendwie gemaserten Stoff, vielleicht Rohseide. Es endete knapp über dem Knie, hatte Dreiviertelärmel und einen weiten Halsausschnitt mit tiefen Vs vorne und hinten. Sie trug spitze Lacklederstilettos. Die Handtasche passte zu den Schuhen, und am linken Handgelenk sah ich eine Cartier-Uhr mit goldenem Gliederarmband. Es war eine Herrenuhr, die an ihrem Arm groß und schwer wirkte, und das Klobige der Uhr schien Delilahs Weiblichkeit nur noch mehr zu betonen. Das Haar war nach hinten aus dem Gesicht gekämmt, so dass ihr Profil hervorgehoben wurde. Alles in allem war ihr Outfit kühl und elegant, edel und sexy. Nichts davon, vor allem nicht die Schuhe, war für eine Flucht geeignet, sollte sie nötig werden. Deshalb musste sie sich aus irgendeinem anderen operativen Grund für diesen Look entschieden haben. In dieser Welt gibt es alle möglichen Formen von Waffen, und ich rief mir in Erinnerung, dass diese Frau beileibe nicht unbewaffnet war.
    Sie griff in ihre Handtasche, holte ihr Handy heraus und zeigte mir, dass es ausgeschaltet und mit niemandem verbunden war, der von außen hätte mithören können. Dann hielt sie mir die offene Handtasche hin, damit ich mich überzeugen konnte, dass auch sonst nichts Problematisches darin war. Ich nickte zufrieden.
    Sie hob die Arme seitlich vom Körper und sah mich an. Sie lächelte wieder dieses durchtriebene, subversive Lächeln – verlockend, aber auch amüsiert, als wollte es denjenigen, an den es sich richtete, auffordern mitzulächeln. »Wollen Sie mich nicht durchsuchen?«
    Ich hielt das nicht für notwendig. Und es wäre ganz sicher unklug. Wenn ich ihren Körper berührte, würde meine frühere Reaktion, als ich sie gesehen hatte, wie sie sich im Hotelzimmer in Macau über den Nachttisch beugte, vergleichsweise schüchtern und zurückhaltend

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