Der Verrat
Recht. Eine schöne Frau, spricht Arabisch, hat sich und andere voll im Griff, versucht, einen Mann zu hintergehen, der etliche islamistische Fundamentalistengruppen unterstützt … Ich weiß auch nicht, wie ich auf den Gedanken gekommen bin.«
»Ist das wirklich alles, was Sie haben?«
»Was gäbe es denn noch so?«
Sie trank einen Schluck Laphroaig und hielt inne, als müsste sie nachdenken. Dann sagte sie: »Niemand arbeitet vollkommen allein. Selbst wenn es nur die Leute sind, die einen bezahlen, es gibt immer irgendwen, der einen mit Informationen beliefert. Falls Sie Ihre Theorien über mich mit Ihrem Auftraggeber erörtern, wer immer das sein mag, könnte es für mich gefährlich werden.«
Daran hatte ich nicht mal gedacht. Ich neige dazu, mich nur darauf zu konzentrieren, ob eine bestimmte Handlungsweise für mich gefährliche Konsequenzen haben könnte. Selbstsüchtig nennt man das wohl. Aber gerade deshalb bin ich noch am Leben.
»Wir sind beide Profis«, fuhr sie fort. »Wir tun das, was erforderlich ist. Falls Sie Informationen über mich brauchen, werden Sie sich die beschaffen. Aber das, was Sie erfahren, wird Sie nicht viel weiterbringen. Mich dagegen könnte es teuer zu stehen kommen.«
»Dann seien Sie doch einfach offen zu mir«, sagte ich. »Sagen Sie mir, was ich wissen muss.«
»Was müssen Sie denn noch wissen?«, fragte sie und sah mich an. »Der Zufall will es, dass wir schon viel zu viel übereinander wissen. Unsere jeweiligen Ziele sind klar, und auch die Situation, in der wir uns befinden. Je mehr Sie nachhaken, desto mehr gefährden Sie meine Möglichkeiten, meinen Auftrag auszuführen. Und desto gefährlicher machen Sie meine persönliche Lage. Die Leute, für die ich arbeite, sind sich dessen bewusst. Gut möglich, dass sie irgendwann nicht mehr auf mich hören, wenn ich sage, sie sollen Sie in Ruhe lassen.«
Ich stellte mein Glas ab und stand auf. »Delilah«, sagte ich, und meine Stimme sackte eine Oktave tiefer, wie immer, wenn ich das Gefühl habe, in wenigen Sekunden entscheidende Maßnahmen ergreifen zu müssen, »wir sind hier, um einen Weg zu finden, wie wir koexistieren können. Zwingen Sie mich nicht, Sie als Bedrohung zu betrachten.«
»Sonst passiert was?«, fragte sie und schaute zu mir hoch.
Ich antwortete nicht. Auch sie stellte ihr Glas ab, stand auf und sah mir ins Gesicht. »Brechen Sie mir dann das Genick? Die meisten Männer könnten das nicht – ich bin nicht so zart, wie ich aussehe, wissen Sie –, aber ich weiß, dass Sie es könnten.«
Sie trat einen Schritt näher. Ich spürte einen Adrenalinstoß und wusste ihn nicht einzuordnen. Vor einer Sekunde hatte ich auf sie so reagiert, wie ich es reflexartig tue, wenn sich etwas unvermittelt als gefährlich erweist, aber jetzt … Ich wusste es nicht. Meine Atmung begann sich zu beschleunigen, aber ich beherrschte sie, weil ich nicht wollte, dass sie das bemerkte.
»Vielleicht bin ich eine Bedrohung für Sie«, sagte sie mit ruhiger Stimme. »Nicht, weil ich es sein möchte, sondern aufgrund der Gesamtsituation. Also? Sie sind Profi. Tun Sie, was Sie tun müssen! Eliminieren Sie die Bedrohung.«
Sie kam noch einen Schritt näher, war jetzt so nah, dass ich sie riechen konnte, spürte, dass etwas von ihrem Körper ausging, Wärme oder irgendetwas Elektrisierendes. Wieder schoss mir ein Schwall Adrenalin durch Brust und Bauch.
»Nicht«?, fragte sie und sah mir in die Augen. »Warum nicht? Sie wissen doch, wie es geht. Hier.« Sie nahm meine Hände und legte sie an ihren Hals. Ihre Haut war warm und weich. Ich spürte den Puls unter meinen Fingern. Er schlug erstaunlich hart. Ich hörte ihren Atem durch die Nase ein- und ausströmen.
Ich hatte nicht bluffen wollen, aber irgendwie hatte ich es getan. Und jetzt wollte sie meine Karten sehen. Verdammt.
Aber sie war sich ihrer Sache nicht ganz sicher. Da war der schnelle Puls und das heftige Atmen.
Genau wie bei mir, wie ich jetzt merkte. Ich suchte nach einem Weg, um die Initiative zurückzugewinnen, die Situation wieder zu kontrollieren. Aber es fiel mir schwer, wenn ich in diese blauen Augen blickte, ihr Gesicht sah, umrahmt von meinen Händen, die ihren Hals umschlossen, und ihre Miene, die furchtsam und trotzig zugleich war.
Sie ließ jetzt die Arme sinken und reckte das Kinn leicht nach oben. Die Haltung war zutiefst unterwürfig und trotzdem auch irgendwie spöttisch, herausfordernd. Ich blickte nach unten auf die schattigen Schlüsselbeinmulden,
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