Der Verrat
bin sicher, ich krieg das mit Belghazi ungestört hin.«
Er hob eine Augenbraue. »Fürchten Sie, wir ziehen Sie von dem Fall ab, wenn wir glauben, jemand anders will Belghazi liquidieren?«
Ich musste mir ein Lächeln verkneifen. Jetzt war er auf meine Finte hereingefallen.
Ich runzelte die Stirn, ein klein wenig zu stark, so dass er den Eindruck gewinnen musste, er liege mit seinem Verdacht richtig. Ich tat so, als ginge ich aus Verärgerung über seine Frage hinweg, und sagte: »Lassen Sie hören, was Sie über das Team haben, das mich angegriffen hat.«
Er schwieg einen langen Moment. Dann sagte er: »Also gut, ich will offen zu Ihnen sein. Ich glaube, auf unserer Seite gibt es eine undichte Stelle. Aber mehr will ich noch nicht sagen, solange ich keine Gelegenheit hatte, der Sache nachzugehen.«
Ich empfing gewisse Signale von ihm, diese Haltung: Der Typ ist ein Agent, ich kann ihn so manipulieren, wie sie mir das in der Ausbildung beigebracht haben, ihn dahin bringen, wo ich ihn haben will.
Ich sah ihn lange an, ließ ihm Zeit, die Kälte in meinen Augen zu spüren. »Ich will offen zu Ihnen sein«, wiederholte ich bedächtig. »Wissen Sie, diese Formulierung hab ich noch nie gemocht. Das hört sich an wie ›Bis jetzt hab ich Ihnen nur Scheiß erzählt.‹«
»Nein, das hört sich an wie: ›Bis jetzt habe ich bewusst etwas zurückgehalten.‹«
»Wenn Sie meinen, ich wüsste diesen Unterschied zu würdigen, dann trauen Sie mir wohl auch CIA-mäßige Spitzfindigkeiten zu«, sagte ich und sah ihn unverwandt an.
Seine Gesichtsfarbe wurde dunkler. Sicherlich dachte er an seinen Sicherheitsbegleiter, dem ich das Genick gebrochen hatte.
»Hören Sie«, sagte er und hob die Hände. »Ich hab schon erlebt, dass Sie überhastet handeln, okay? Sie können sehr direkt sein, und dafür bewundere ich Sie, deshalb sind Sie ja auch so gut auf Ihrem Gebiet. Aber wenn ich Ihnen irgendetwas Unausgegorenes erzähle, das sich hinterher als falsch erweist, und Sie gehen los und handeln aufgrund dieser Information, dann hat das äußerst schwer wiegende Konsequenzen. Für alle Beteiligten.«
Ich sagte nichts. Meine Miene blieb unverändert.
»Außerdem«, fuhr er fort, und sein Drang weiterzureden verriet mir, dass sein Unbehagen wuchs, »ist es ja nun nicht so, dass Sie sich mir gegenüber absolut einwandfrei verhalten hätten, oder? Ich soll Ihnen glauben, dass Sie die Frau nicht wiedergesehen haben. Das kaufe ich Ihnen nicht ab. Ganz gleich, ob sie nun die Frau aus der Akte ist oder jemand anders, die weite Reise nach Macau mit Belghazi hat sie auf jeden Fall nicht bloß für einen einzigen Gastauftritt gemacht. Vertrauen muss gegenseitig sein, okay?«
Vielleicht hatte ich vorhin falsch damit gelegen, dass er noch immer ein wenig unerfahren war. Er war aufgeweckt und wurde immer aufgeweckter. Ich sollte mich schämen, dass ich ihn unterschätzt hatte.
Aber einen onkelhaften Klaps auf den Rücken würde ich ihm später geben. Vorläufig musste ich ihn weiter unter Druck setzen.
»Hatten Sie vielleicht in der letzten Woche ein Todeskommando im Nacken, Kanezaki?«, fragte ich und blickte ihn immer noch kalt und unverwandt an. Als er nicht antwortete, sagte ich: »Nein, das dachte ich mir. Aber ich hatte das zweifelhafte Vergnügen. Und zwar in Zusammenhang mit einem Auftrag, für den Sie mich angeheuert haben. Also hören Sie jetzt auf mit diesem ›Vertrauen gegen Vertrauen‹-Scheiß, oder ich komme zu dem Schluss, dass Sie mir etwas vorgemacht haben.«
Eine lange Pause trat ein. Dann sagte er: »Also gut. Belghazi steht mit auf einer Liste. Einer Abschussliste. Natürlich spricht man nicht von ›Abschussliste‹. Selbst nach dem elften September würde niemand so ein Wort benutzen.«
Ich zog die Augenbrauen hoch und dachte mir meinen Teil. Diese Genies hatten inzwischen doch ein wenig Marketing gelernt.
Er trank einen Schluck Kaffee. »Die Liste läuft offiziell unter dem Namen ›International Terrorist Threat Matrix‹, kurz ITTM. Inoffiziell heißt sie nur ›die Liste‹. Sie wurde von der CIA erstellt und wird von uns in unserer Eigenschaft als Zentralstelle für sämtliche geheimdienstlichen Informationen, die von unseren Diensten gesammelt werden, laufend auf den neusten Stand gebracht. Sie soll die Schlüsselfiguren in der Infrastruktur des internationalen Terrorismus identifizieren. Wie die ›Most Wanted‹-Liste des FBI, nur breiter angelegt. Sie verstehen, eine Art ›Who’s Who.‹«
»Sind Sie
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