Der Verrat
immer noch dabei, ›offen‹ mit mir zu reden?«, fragte ich.
Er stellte seinen Kaffee ab und schaute nach rechts und links, als suchte er nach Worten. »Sehen Sie, das meinte ich vorhin mit Ihrer Neigung, überhastet zu reagieren«, sagte er. »Lassen Sie mich erst mal ausreden, ja? Ich versuche Ihnen nämlich Dinge zu erzählen, die Sie wissen müssen.«
Die Zurechtweisung war angemessen. Ich sagte nichts, und nach einem Moment sprach er weiter. »Die Liste gab es schon vor dem elften September«, sagte er, »aber sie wurde danach erheblich überarbeitet und erweitert. Und seitdem hat sie auch die Funktion einer Abschussliste – eine nette, negierbare Abschussliste, weil sie ja in der ein oder anderen Form wirklich schon lange existiert hat. Deshalb musste auch keiner befürchten, irgendwann mal vor einem scheinheiligen Kongressausschuss das problematische Eingeständnis machen zu müssen, dass er den Befehl gegeben hat, eine solche Liste zu erstellen.«
»Eine Abschussliste, die keine ist.«
»Genau.« Er holte tief Luft. »So, vor ein paar Tagen nun hat mich ein Mann besucht, der in einer anderen Abteilung für die CIA arbeitet.«
»Crawley?«, fragte ich und beobachtete ihn genau.
Seine Augen wurden groß und zuckten ein kleines bisschen zusammen – so unauffällig, dass ich es nicht für gespielt hielt. Und er wurde rot, eine noch unwillkürlichere Reaktion. Volle zwei Sekunden vergingen. Dann sagte er: »Hören Sie, es spielt keine Rolle, wer der Mann war. Lassen wir Namen aus dem Spiel, okay?«
»Klar«, sagte ich und tat ihm vorläufig den Gefallen. Seine Reaktion war ja schon so eindeutig gewesen, wie ich es mir nur wünschen konnte.
»Also, diese Person … wollte die Liste einsehen. Und das ist seltsam.«
»Seltsam inwiefern?«, fragte ich.
»Na ja, zunächst mal, weil keiner die Liste sehen will. Die Schlüsselfiguren wissen natürlich, dass sie existiert, aber mehr wollen sie gar nicht wissen. Sie wollen sich die Möglichkeit bewahren, jedes Wissen abstreiten zu können, wenn es drauf ankommt. Nach dem Motto: ›Oh, die ITTM? Ja, irgendwo hab ich da mal was gehört, über irgendein Who’s Who oder so ähnlich …‹ – Sie verstehen schon.«
Er nahm seine Tasse und trank wieder einen Schluck. »Also, die Anfrage dieser Person lief natürlich nicht über offizielle Kanäle. Nur ein Anruf, um ein Treffen zu vereinbaren, dann ein persönlicher Besuch in der Botschaft in Tokio. Keine Papierspur. Woraus ich schließe, dass er vorsichtig war.«
»Warum?«
Er zuckte die Achseln. »Zuerst dachte ich, wegen der Liste. Er wollte in der Lage sein, das Treffen notfalls abzustreiten oder, wenn das nicht möglich wäre, es nur ›seiner Erinnerung nach‹ zu beschreiben. Und vielleicht ist Ihnen schon mal aufgefallen, dass diese Erinnerungen bei offiziellen Anhörungen nie besonders detailliert sind.«
»Warum sagen Sie ›zuerst‹?«
»Er hat allerhand allgemeine Fragen gestellt, aber ich hab gemerkt, dass die meisten davon nur sein eigentliches Interesse verschleiern sollten.«
»Und das war?«
»Erstens: Steht Belghazi auf der Liste? Zweitens: Haben wir jemanden nach Macau geschickt, um Belghazi zu liquidieren?«
Ich überlegte einen Moment. »Warum haben Sie mir das nicht früher erzählt? Sie sagten, der Besuch war schon vor einigen Tagen?«
»Ich hab nicht gedacht, dass Sie davon betroffen wären. Ich dachte, es wäre bloß das übliche bürokratische Zuständigkeitsgerangel. Der Mann gehört zu einer Abteilung, die behaupten könnte, dass sie für Belghazi zuständig ist, und ich hab gedacht, die wären sauer, weil eine andere Abteilung gegen ihn tätig wird. Schlimmstenfalls reichen sie vielleicht eine Beschwerde beim Deputy Director ein, dachte ich. Ich hab nicht erwartet, dass so was passiert, was jetzt anscheinend passiert ist, okay?«
»Von welcher Abteilung reden wir hier?«
Er hielt inne, sagte dann: »Die Nahostabteilung.«
»Was haben Sie ihm auf seine Fragen geantwortet?«
»Dass meines Wissens jede Einsicht in die Liste vom Counter Terrorism Center, dem Antiterrorzentrum, bewilligt werden muss und dass er sich mit denen in Verbindung setzen sollte. Und die Frage, ob wir gegen Belghazi oder sonst wen in Macau vorgehen, könne ebenfalls nur über das CTC beantwortet werden.«
»Wie war seine Reaktion?«
Er zuckte die Achseln. »Na, er hat sich mächtig aufgeregt, aber was konnte er schon machen?«
»Was passierte danach?«
»Ich vermute, er hat sich ans CTC
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