Der Verrat
die Mischung aus Lachen und Gesprächen begleitet die Hintergrundmusik stets in genau der richtigen angenehmen Lautstärke. Es hat eine bunt zusammengewürfelte Schar von Stammgästen, Menschen aus dem Viertel sowie Besucher aus entfernteren Gegenden der Stadt, und das überquellende Schwarze Brett informiert über Bürgerinitiativen, Theatervorstellungen und Lyriklesungen. Es ist gemütlich, aber nicht zu eng, lässig, aber nicht eingebildet, wohltuend, aber nicht plump vertraulich. Das Ben’s würde zweifellos die Bezeichnung »Städtische Oase« verdienen, falls die Regierung je auf die Idee käme, einen solchen Ehrentitel an Tokios Zufluchtsorte vor der ansonsten herrschenden Reizüberflutung zu vergeben.
Wir bestellten jeder die Hausmarke, eine frisch geröstete Mischung aus brasilianischen und guatemaltekischen Bohnen. Dann verloren wir keine Zeit mehr mit Nettigkeiten.
»Was haben Sie für mich?«, fragte ich.
»Diesmal eine ganze Menge.«
»Gut.«
»Fangen wir mit der Frau an. Passen Sie auf. Schon zweimal wurde ein Akteur, den wir der terroristischen Infrastruktur zurechnen würden – Finanzen und Logistik, keine Fußsoldaten – mit einer attraktiven blonden Frau gesehen. Und beide Male wurde der Betreffende innerhalb von zwei Monaten erschossen aufgefunden.«
Ich sah ihn an. »Warum haben Sie mir das nicht beim ersten Mal gesagt?«
»Für solche Informationen gibt’s kein Register. Ich kann die Akten ja wohl schlecht nach ›heiße Blondine und toter Terrorist und Infrastruktur‹ durchsuchen. Diese Gemeinsamkeiten habe ich auf die altmodische Tour entdeckt, indem ich mich durch einen Berg dicker Akten gewühlt habe. Und das dauert seine Zeit.«
Das war einleuchtend. »Na schön.«
»Ansonsten haben wir nichts über die Frau. Kein Name, gar nichts. Bisher hat noch keiner diese Verbindung hergestellt, und ich hätte es wahrscheinlich auch nicht getan, wenn Sie mir nicht gesagt hätten, worauf ich achten soll.«
Mein Gesicht verriet nichts, aber ich dachte: Genau das hatte Delilah befürchtet.
»Und?«, fragte ich.
Er zuckte die Achseln. »Na ja, das kann kein Zufall sein, dass diese Frau mit zwei eliminierten Typen der terroristischen Infrastruktur zu tun hatte und jetzt mit einem dritten gesehen wurde, der vielleicht auch bald abieben wird. Ich vermute, sie arbeitet für irgendwen und stellt den Kerlen eine Falle.«
»Sozusagen ein Engel für Charlie?«
Er lachte. »Eher ein Engel des Todes.«
»Scheint mir ein bisschen wenig.«
Er sah mich an, und ich merkte, dass ich es vielleicht ein wenig übertrieben hatte. »Kann sein«, sagte er. »Die beiden Burschen, mit denen man sie gesehen hat, wurden auf Reisen getötet. Einer auf der Durchreise in Wien, der andere während eines Urlaubs in Belize. Was bedeutet, dass sie verfolgt wurden, beschattet. Aus nächster Nähe beobachtet.«
Ich zuckte die Achseln. »Könnte die Frau gewesen sein, aber es gibt andere Möglichkeiten, ein bewegliches Ziel zu erfassen. Sie mussten schließlich auch nicht mit Belghazi schlafen, um mir sagen zu können, wo ich ihn finde.«
Ein vernünftiger Einwand, aber ich spürte, er hatte das Gefühl, dass ich ihm widersprach, und er fragte sich, warum. Ich musste den Quatsch bleiben lassen.
Kanezaki griff nach seiner Kaffeetasse, musterte sie einen Moment und sagte dann: »Da ist noch was. Die beiden bösen Buben starben durch einen einzigen Schuss, Kaliber zweiundzwanzig, ins Auge. Selbst aus der Nähe – und die Opfer wurden aus der Nähe erschossen – ist das ein verdammt guter Schuss. Wer auch immer den Finger am Abzug hatte, er ist sich seiner Sache so sicher, dass er eine Waffe mit wenig Durchschlagskraft benutzt, weil er weiß, dass er den Schuss ganz genau platzieren kann.«
Er. Interessant.
»Die Frau könnte nicht die Schützin sein?«, fragte ich.
»Ich glaube nicht. Ich glaube, sie ist die Kundschafterin. Sie ist so eine Art spezialisierter Maulwurf. Sie wird von der Zielperson durchleuchtet, besteht den Test und dringt in den inneren Kreis vor. Die Zielperson trifft natürlich noch weitere Vorsichtsmaßnahmen und wähnt sich in Sicherheit. Aber sein Sicherheitssystem hat eine Lücke, und mit der schläft er. Wenn die Frau dann den Augenblick für günstig hält, macht sie einen Anruf. Und in derselben Nacht fängt sich der Typ eine Kugel ein. Die Frau ist nicht dabei, wenn es passiert, und hinterher verschwindet sie einfach. Keiner weiß, dass sie in der Sache mit drinsteckt.«
Er trank einen
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