Der Verrat
Leiter der Staatsanwaltschaft.
»Von den Opfern«, sagte Gasko sarkastisch. Ich konnte seiner Einschätzung nur zustimmen: Es fiel schwer, sich eine Bande reicher Anwälte als Opfer eines Verbrechens vorzustellen.
Viele berühmte Leute waren in ihrem Leben verhaftet worden. Ich versuchte, mir ein paar in Erinnerung zu rufen. Martin Luther King war mehrere Male im Gefängnis gewesen. Ich dachte an Boesky und Milken und andere Börsengauner, an deren Namen ich mich nicht erinnerte. Und was war mit all den berühmten Schauspielern und Sportlern, die man wegen Trunkenheit am Steuer, Erregung öffentlichen Ärgernisses oder Kokainbesitz verhaftet hatte? Sie alle waren auf den Rücksitz eines Polizeiwagens verfrachtet und wie gemeine Kriminelle abgeführt worden. Ein Richter aus Memphis hatte lebenslänglich bekommen; ein ehemaliger Kommilitone saß eine Gefängnisstrafe im offenen Vollzug ab; ein früherer Mandant war wegen Steuerhinterziehung zu einer Haftstrafe verurteilt worden. Sie alle hatte man verhaftet, ins Polizeigefängnis gebracht, vernommen, erkennungsdienstlich behandelt und mit einer Nummer unter dem Kinn fotografiert.
Und alle hatten es überlebt.
Ich hatte den Verdacht, dass auch Mordecai Green bereits den kalten Stahl der Handschellen gespürt hatte.
Irgendwie war es eine Erleichterung, dass es endlich passiert war. Ich konnte aufhören, Versteck zu spielen und mich ständig umzusehen. Das Warten war vorbei.
Und es war keine Mitternachtsaktion, bei der ich keine Chance gehabt hätte, vor dem Morgen wieder freizukommen. Nein, die Uhrzeit war nicht das Problem. Mit etwas Glück konnte ich die Einlieferungsprozedur hinter mich bringen und auf Kaution freigelassen werden, bevor die Wochenendfestnahmen erfolgten.
Dennoch empfand ich eine Angst, die ich noch nie zuvor gehabt hatte. Im Gefängnis konnte vieles schief gehen. Unterlagen konnten zeitweilig unauffindbar sein. Dutzende von Verzögerungen waren möglich. Die Festsetzung der Kaution konnte am Samstag, am Sonntag oder vielleicht sogar erst am Montag erfolgen. Ich musste damit rechnen, mit aggressiven Straftätern in eine überfüllte Zelle gesperrt zu werden.
Meine Verhaftung würde sich herumsprechen. Meine Freunde würden den Kopf schütteln und sich fragen, was
ich als nächstes tun würde, um mein Leben zu verpfuschen. Meine Eltern würden am Boden zerstört sein. Ich war mir nicht sicher, was Claire denken würde, besonders jetzt, da sie einen Gigolo hatte.
Ich schloss die Augen und versuchte, es mir bequem zu machen, was aber, da ich auf meinen Händen saß, praktisch unmöglich war.
Die Einlieferung nahm ich nur verschwommen wahr: Ich bewegte mich wie im Traum von einem Punkt zum anderen, wobei Gasko mich führte wie ein zugelaufenes Hündchen. Sieh diese Leute nicht an, sagte ich mir immer wieder, sieh auf den Boden. Zuerst musste ich meine Taschen leeren und ein Formular unterschreiben.
Dann ging es durch einen schmutzigen Korridor zur Fotostelle: Schuhe aus, vor der Meßlatte aufstellen, Sie brauchen nicht zu lächeln, wenn Sie nicht wollen, aber bitte sehen Sie in die Kamera. Das Ganze noch einmal im Profil. Dann Fingerabdrücke. Hier waren die Beamten so beschäftigt, dass Gasko mich wie einen Geisteskranken an einen Stuhl auf dem Korridor fesselte und sich auf die Suche nach einer Tasse Kaffee machte. Verhaftete in verschiedenen Stadien der Aufnahmeprozedur schlurften vorbei. Überall Polizisten. Ein weißes Gesicht, kein Polizist, sondern ein Beschuldigter wie ich - jung, in einem gut geschnittenen marineblauen Anzug, offenbar betrunken und mit einer Prellung auf der linken Wange. Wie schaffte man es, sich an einem Freitag vor fünf Uhr nachmittags zu betrinken? Er war laut und aggressiv, seine Stimme klang undeutlich und hart, und alle ignorierten ihn. Dann war er verschwunden. Die Zeit verging, und ich geriet langsam in Panik. Draußen war es dunkel, das Wochenende hatte begonnen. Bald würde es die üblichen Festnahmen geben, und die Beamten würden alle Hände voll zu tun haben. Gasko kehrte zurück, brachte mich zur erkennungsdienstlichen Behandlung und sah zu, wie Poindexter routiniert die Farbe auftrug und meine Fingerkuppen auf das Formular drückte.
Ich brauchte nicht zu telefonieren. Mein Anwalt war irgendwo in der Nähe, auch wenn Gasko ihn nirgends gesehen hatte. Auf dem Weg hinunter in den Zellentrakt wurden die Türen immer massiver. Wir gingen in die falsche Richtung: Der Ausgang war hinter uns.
»Wie
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