Der Verrat
Offensichtliche blieb unausgesprochen: Es war Freitag Nachmittag. Ein Wochenende im Polizeigefängnis würde ich vielleicht nicht überleben.
Sie gingen telefonieren, und ich saß wie versteinert am Schreibtisch und konnte nichts unternehmen, nichts denken, nichts tun, als auf das Quietschen der Eingangstür zu lauschen. Ich musste nicht lange warten. Um Punkt vier Uhr trat Lieutenant Gasko mit einigen Männern ein.
Bei meiner ersten Begegnung mit Gasko - als er Claires Wohnung durchsucht und ich gewütet und Namen aufgeschrieben und ihm und seinen Kollegen alle möglichen juristischen Konsequenzen angedroht hatte, als ich auf jedes seiner Worte mit beißendem Sarkasmus geantwortet hatte, als ich ein hartgesottener Rechtsanwalt und er nur ein kleiner Polizist gewesen war, hatte ich mir nicht vorstellen können, dass er eines Tages vielleicht das Vergnügen haben könnte, mich zu verhaften. Doch da war er, aufgeplustert wie ein alternder Star, und brachte es fertig, zugleich höhnisch und triumphierend zu lächeln. In der Hand hielt er ein paar zusammengefaltete Papiere, die nur darauf warteten, mir gegen die Brust geklatscht zu werden.
»Ich will zu Mr. Brock«, sagte er zu Sofia, und in diesem Augenblick trat ich lächelnd aus meinem Zimmer.
»Hallo, Gasko«, sagte ich. »Suchen Sie noch immer diese Akte?«
»Nein. Heute nicht.«
Mordecai kam aus seinem Büro. Sofia stand an ihrem Schreibtisch. Die Blicke gingen vom einen zum anderen. »Haben Sie einen Haftbefehl?« fragte Mordecai.
»Ja. Für Mr. Brock«, sagte Gasko.
Ich zuckte die Schultern und sagte: »Na gut, dann gehen wir.« Ich trat auf Gasko zu. Einer der Polizisten nahm ein Paar Handschellen vom Gürtel. Ich wollte wenigstens nach außen hin cool bleiben.
»Ich bin sein Anwalt«, sagte Mordecai. »Zeigen Sie mal her.« Er nahm den Haftbefehl an sich und studierte ihn, während man mir die Hände auf den Rücken fesselte. Kalter Stahl schnitt in meine Handgelenke. Die Handschellen waren zu eng oder jedenfalls enger, als sie hätten sein müssen, aber es war zu ertragen, und ich war entschlossen, mir nichts anmerken zu lassen.
»Ich bin gern bereit, meinen Mandanten zur Wache zu fahren«, sagte Mordecai.
»Vielen Dank, zu freundlich«, erwiderte Gasko, »aber diese Mühe wollen wir Ihnen ersparen.«
»Wohin bringen Sie ihn?«
»Zum Präsidium.«
»Ich folge Ihnen«, sagte Mordecai zu mir. Sofia telefonierte, und das war noch beruhigender als der Gedanke, dass Mordecai irgendwo hinter mir war.
Drei unserer Mandanten waren Zeugen der Aktion, drei harmlose Obdachlose, die nur kurz mit Sofia hatten sprechen wollen. Sie saßen dort, wo die Mandanten immer warteten, und als ich an ihnen vorbeiging, starrten sie mich ungläubig an.
Einer der Polizisten zerrte an meinem Ellbogen und stieß mich hinaus auf die Straße, wo ich bereitwillig in ihren schmutzigen, weißen Wagen stieg, der an der Ecke geparkt war. Die Obdachlosen hatten alles gesehen: wie der Wagen vorfuhr, wie die Polizisten hineinstürmten und mich in Handschellen abführten.
»Ein Anwalt ist verhaftet worden«, würden sie einander zuflüstern, und die Nachricht würde sich in Windeseile auf den Straßen verbreiten.
Gasko saß neben mir im Fond. Ich ließ mich tief in den Sitz sinken, starrte ins Leere und versuchte, den Schock zu verdauen.
»Was für eine Zeitverschwendung«, sagte er und machte es sich bequem, indem er seinen Fuß, der in einem Cowboystiefel steckte, auf das andere Knie legte. »In dieser Stadt sind hundertvierzig Morde noch nicht aufgeklärt, Drogen gibt es an jeder Straßenecke und sogar auf Schulhöfen, und wir müssen ausgerechnet mit Ihnen unsere Zeit verschwenden.«
»Soll das der Auftakt zu einem Verhör sein?« fragte ich.
»Nein.«
»Gut.« Er hatte sich bisher nicht die Mühe gemacht, mich über meine Rechte zu belehren, und das brauchte er auch erst zu tun, wenn er begann, Fragen zu stellen.
Der Wagen raste ohne Blaulicht und Sirene und offenbar auch ohne Rücksicht auf Verkehrsregeln und Fußgänger auf der 14th Street in Richtung Süden.
»Dann lassen Sie mich doch laufen.«
»Wenn’s nach mir ginge, würde ich das auch tun. Aber Sie haben ein paar Leuten böse ans Bein gepinkelt. Der Staatsanwalt hat mir gesagt, dass er einigen Druck bekommen hat.«
»Druck von wem?« fragte ich, obwohl ich die Antwort bereits kannte. Die Kanzlei Drake & Sweeney verschwendete ihre Zeit nicht mit Polizisten, sondern sprach lieber Juristenchinesisch mit dem
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