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Der Verrat

Der Verrat

Titel: Der Verrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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zog die Beine an, so dass die Knie mein Kinn berührten. Es war eine Abwehrhaltung. Wenn er mich schlagen oder treten sollte, würde ich mich nicht wehren. Jeder Widerstand würde sofort die anderen auf den Plan rufen, und es wäre für sie eine wahre Wonne, diesen Weißen zusammenzuschlagen.
    »Der Typ hat gesagt, dass du ‘ne hübsche Jacke hast«, sagte der auf dem oberen Bett.
    »Und ich hab danke gesagt.«

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    »Der Typ hat gesagt, dass er nicht so ‘ne Jacke hat.«
    »Und? Kann ich was daran ändern?«
    »Du könntest sie ihm ja schenken.«
    Ein Dritter kam hinzu und schloss den Halbkreis um mich. Der erste trat gegen meinen Fuß, und alle drei kamen näher. Sie waren drauf und dran, sich auf mich zu stürzen. Einer wartete auf den anderen. Ich zog rasch den Blazer aus und warf ihn auf den Boden.
    »Ist das ein Geschenk?« fragte der erste und hob ihn auf.
    »Es ist, was du willst«, sagte ich. Ich starrte noch immer vor mich hin und vermied jeden Blickkontakt, und darum sah ich seinen Fuß nicht. Der Tritt traf mich an der linken Schläfe und stieß meinen Kopf gegen die Gitterstäbe.
    »Scheiße!« schrie ich und betastete meinen Hinterkopf.
    »Du kannst das verdammte Ding haben«, sagte ich und machte mich auf den Angriff gefasst.
    »Ist das ein Geschenk?«
    »Ja.«
    »Danke, Mann.«
    »Keine Ursache«, sagte ich und fuhr mir mit der Hand über das Gesicht. Mein ganzer Kopf fühlte sich taub an.
    Sie zogen sich zurück. Ich saß zusammengekrümmt da.
    Minuten vergingen, auch wenn ich kein Zeitgefühl mehr hatte. Der betrunkene Weiße versuchte, zu sich zu kommen, und wieder rief jemand nach der Wache. Der Kerl, der mein Jackett genommen hatte, zog es nicht an. Es verschwand irgendwo in der Zelle.
    Mein Gesicht pochte, blutete aber nicht. Wenn ich keine weiteren Verletzungen davontrug, konnte ich mich glücklich schätzen. Ein Leidensgenosse in einer anderen Zelle rief, er versuche zu schlafen, und ich dachte darüber nach, was die Nacht bringen würde. Wir waren zu sechst und hatten nur zwei sehr schmale Betten. Sollten wir auf dem Fußboden schlafen, ohne Kissen und Decke?

    Der Boden fühlte sich immer kälter an, und während ich da saß, versuchte ich mir auszumalen, welche Vergehen sich meine Zellengenossen hatten zuschulden kommen lassen. Ich hatte mir eine Akte ausgeliehen, in der Absicht, sie wieder zurückzubringen. Und doch war ich hier, auf der untersten Sprosse der Leiter, unter Drogendealern, Autodieben, Vergewaltigern und wahrscheinlich sogar Mördern.
    Ich war nicht hungrig, aber ich dachte an Essen. Ich hatte keine Zahnbürste. Ich musste nicht aufs Klo, aber was würde geschehen, wenn ich musste? Gab es hier etwas zu trinken? Die elementaren Bedürfnisse rückten in den Vordergrund.
    »Hübsche Schuhe«, sagte jemand und riss mich aus meinen Gedanken. Ich sah auf.
    Einer der Kerle stand vor mir. Er trug schmutzige weiße Strümpfe, keine Schuhe, und seine Füße waren ein paar Zentimeter länger als meine.
    »Danke«, sagte ich. Es waren alte Joggingschuhe, keine Basketballschuhe, und ich hielt es für unwahrscheinlich, dass sie ihm wirklich gefielen. Zum erstenmal wünschte ich mir, ich trüge die Slipper, in denen ich als gutsituierter Anwalt in die Kanzlei gegangen war.
    »Welche Größe?« wollte er wissen.
    »Vierundvierzig.«
    Der Bursche, der meine Jacke an sich genommen hatte, kam näher; die Botschaft war klar.
    »Das ist meine Größe«, sagte der erste.
    »Möchtest du sie gern haben?« fragte ich und zog sie aus. »Hier, ich möchte dir eine Freude machen und schenke dir meine Schuhe.« Ich schob sie ihm hin, und er nahm sie.
    Am liebsten hätte ich gefragt: Und was ist mit meiner Jeans und meiner Unterhose?
    Gegen sieben Uhr hatte Mordecai alle nötigen Formalitäten erledigt. Coffey holte mich aus der Zelle. Als wir zum Ausgang gingen, fragte er mich: »Wo sind Ihre Schuhe?«
    »In der Zelle«, sagte ich. »Die anderen haben sie mir abgenommen.«
    »Ich werde sie holen.«
    »Danke. Ich hatte auch noch einen Blazer.«
    Er musterte die linke Seite meines Gesichts. Mein Auge schwoll langsam zu.
    »Alles in Ordnung?«
    »Mir geht’s prima. Ich bin frei.«
    Meine Kaution war auf zehntausend Dollar festgesetzt. Mordecai wartete mit meinem Kautionsbürgen. Ich gab ihm tausend Dollar in bar und unterschrieb ein paar Formulare. Coffey brachte mir meine Schuhe und meinen Blazer, und damit war meine Gefängniszeit fürs erste vorbei. Draußen wartete Sofia im

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