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Der Verrat

Der Verrat

Titel: Der Verrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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Sie ihre neue Adresse?«
    »Wie lange würde das dauern?«
    »Das wird nicht so leicht sein. Aber so ungefähr kann ich es herausfinden.«
    Am Fenster saßen mindestens sechs Mandanten, die darauf warteten, sich von ihr beraten zu lassen. »Nicht jetzt«, sagte ich. »Vielleicht später. Aber jedenfalls vielen Dank.«
    »Keine Ursache.«
    Keine Ursache. Ich hatte mich darauf gefasst gemacht, stundenlang in Kälte und Dunkelheit an die Türen von Nachbarn zu klopfen, den Männern vom Sicherheitsdienst aus dem Weg zu gehen und zu hoffen, dass niemand auf mich schoss. Und sie setzte sich eine Stunde ans Telefon und fand den Vermissten.
    Drake & Sweeney beschäftigte in ihrer Chicagoer Filiale mehr als hundert Anwälte. Ich war im Zusammenhang mit Kartellrechtsfällen zweimal dort gewesen.
    Die Kanzlei befand sich in einem Wolkenkratzer in der Nähe des Sees. Das Foyer war mehrere Etagen hoch und verfügte über Springbrunnen und Geschäfte. Aufzüge schössen hinauf und hinunter. Es war ein idealer Ort, um sich auf die Lauer zu legen und auf Hector Palma zu warten.

    SECHSUNDZWANZIG

    Obdachlose kennen die Straßen, das Pflaster, die Bordsteine, den Beton, den Schmutz, die Kanaldeckel und Hydranten, die Papierkörbe und Bushaltestellen und Ladenfronten. Jeden Tag bewegen sie sich langsam auf vertrautem Terrain, und weil Zeit ihnen wenig bedeutet, bleiben sie stehen, um miteinander zu reden oder um einen neuen Dealer an der Straßenecke, ein neues Gesicht im Revier oder einen Wagen mit abgewürgtem Motor zu beobachten, der den Verkehr behindert. Sie sitzen auf dem Bürgersteig, verborgen unter Hüten und Mützen und hinter billigen Sonnenbrillen und achten wie Wachposten auf jede Bewegung. Sie hören die Geräusche der Stadt, sie atmen die Dieselabgase der Busse und den Geruch des billigen Fetts der Imbissbuden ein. Ihnen fällt auf, dass dasselbe Taxi innerhalb von einer Stunde zweimal vorbeigefahren ist. Wenn in der Ferne ein Schuss fällt, wissen sie, woher er kam. Wenn ein teurer Wagen mit Kennzeichen aus Virginia oder Maryland am Bordstein parkt, behalten sie ihn im Auge, bis er wieder verschwunden ist.
    Obdachlose bemerken auch den Polizisten in Zivil, der in einem unauffälligen Fahrzeug sitzt und wartet.
    »Draußen sind die Bullen«, sagte einer unserer Mandanten zu Sofia. Sie ging zur Eingangstür, sah in südöstlicher Richtung über die Q Street und entdeckte den zivilen Polizeiwagen. Sie wartete eine halbe Stunde, sah noch einmal nach und ging zu Mordecai.
    Ich wusste nichts davon, denn ich führte gerade einen Zweifrontenkrieg gegen die Staatsanwaltschaft und die Ausgabestelle für Lebensmittelgutscheine. Es war Freitag Nachmittag, und die städtischen Behörden - auch an guten Tagen nicht gerade bürgerfreundlich - steuerten mit voller Fahrt dem Wochenende entgegen.
    Sofia und Mordecai überbrachten mir gemeinsam die Neuigkeiten.
    »Ich glaube, die Polizei wartet auf Sie«, sagte Mordecai ernst.
    Mein erster Impuls war, mich unter dem Schreibtisch zu verkriechen, aber das tat ich natürlich nicht. Ich versuchte, gelassen zu erscheinen. »Wo?« fragte ich, als spielte das eine Rolle.
    »An der Ecke. Sie beobachten das Haus schon seit über einer halben Stunde.«
    »Vielleicht sind sie hinter Ihnen her«, sagte ich. Ha, ha. Die beiden verzogen keine Miene.
    »Ich hab ein bißchen telefoniert«, sagte Sofia. »Gegen Sie liegt ein Haftbefehl vor. Wegen schweren Diebstahls.«
    Ein Verbrechen! Gefängnis! Ein gutaussehender junger Weißer würde in den Kerker geworfen werden. Ich rutschte hin und her und tat mein Bestes, keine Angst zu zeigen.
    »Das war zu erwarten«, sagte ich. Vollkommen alltäglich. »Na gut, bringen wir’s hinter uns.«
    »Ich versuche, einen Bekannten bei der Staatsanwaltschaft zu erreichen«, sagte Mordecai. »Es wäre eine freundliche Geste, wenn die Ihnen erlauben würden, sich selbst zu stellen.«
    »Das wäre eine freundliche Geste«, stimmte ich ihm zu, als sei das gar nicht von Bedeutung. »Aber ich habe den ganzen Nachmittag mit der Staatsanwaltschaft gesprochen. Niemand hat mir zugehört.«
    »Die haben über zweihundert Leute«, sagte er.
    Mordecai hatte keine Freunde auf der anderen Seite der Straße. Polizisten und Staatsanwälte waren seine natürlichen Feinde.
    Wir einigten uns rasch auf eine Taktik. Sofia würde einen Kautionsbürgen anrufen, der sich im Gefängnis mit uns treffen würde. Mordecai würde versuchen, einen freundlich gesonnenen Richter aufzutreiben. Das

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