Der Verrat
keinen Cent berechnen.«
Es klopfte. Wir beide schreckten hoch; unsere Unterhaltung hatte uns in vergangene Zeiten zurückversetzt. »Ja«, rief er. Eine Sekretärin trat ein.
»Mr. Peck erwartet Sie«, sagte sie und musterte mich.
»Ich komme sofort«, sagte Hector, und sie ging langsam hinaus und ließ die Tür offen.
»Sie entschuldigen mich«, sagte er.
»Ich werde erst gehen, wenn ich die Kopie der Aktennotiz habe.«
»Wir treffen uns um zwölf am Brunnen vor dem Gebäude.«
»Einverstanden.«
Als ich durch das Foyer ging, nickte ich der Empfangsdame zu. »Vielen Dank«, sagte ich. »Jetzt geht es mir schon viel besser.«
»Gern geschehen«, sagte sie.
Vom Brunnen gingen wir in westlicher Richtung die Grand Avenue entlang zu einer gut besetzten jüdischen Sandwich-Bar. Während wir in der Schlange warteten, steckte er mir einen Umschlag zu. »Ich habe vier Kinder«, sagte er. »Bitte beschützen Sie mich.«
Ich nahm den Umschlag und wollte gerade etwas sagen, als er sich umdrehte und in der Menge verschwand. Ich sah noch, wie er sich durch die Tür drängte und vor dem großen Fenster vorbeiging. Er hatte den Mantelkragen hochgeschlagen und rannte fast.
Ich ließ das Mittagessen aus, ging vier Blocks weit zum Hotel, bezahlte und lud meinen Koffer in ein Taxi. Ich ließ mich tief in den Rücksitz sinken. Die Türen waren verriegelt, der Taxifahrer nahm mich kaum wahr, niemand wusste, wo ich mich in diesem Augenblick befand. Ich öffnete den Umschlag.
Die Aktennotiz hatte das typische Drake & Sweeney-Format, das Hector auf seinem Computer gespeichert hatte. Unten links standen in kleiner Schrift die Mandantennummer, das Aktenzeichen und das Datum: 27. Januar. Die Notiz war von Hector Palma an Braden Chance und betraf die Zwangsräumung in Sachen RiverOaks/TAG, Lagerhaus an der Florida Avenue. An diesem Tag war Hector Palma in Begleitung eines bewaffneten Wachmanns (Jeff Mackle von der Firma Rock Creek Security) von 9 Uhr 15 bis 12 Uhr 30 in dem Lagerhaus gewesen. Das Haus hatte drei Etagen; und nachdem er die Bewohner im Erdgeschoss bemerkt hatte, war Hector in den ersten Stock gegangen, wo jedoch nichts darauf hindeutete, dass hier jemand wohnte. Im zweiten Stock fand er nur Abfall, alte Kleider und die Asche eines Feuers, das hier vor Monaten angezündet worden war.
Im Erdgeschoss, am westlichen Ende des Gebäudes, fand er elf provisorische Wohnungen mit ungestrichenen Wänden aus Sperrholz und Spanplatten, offenbar von ein und derselben Person etwa gleichzeitig und in dem Bemühen um eine gewisse Ordnung errichtet. Die Wohnungen waren, soweit man das von außen beurteilen konnte, ungefähr gleich groß; Hector konnte keine von innen begutachten. Die Türen waren alle gleich: ein leichtes, hohles Türblatt, vermutlich aus Kunststoff, ein Türknauf und ein Riegel.
Die Toilette war benutzt und schmutzig. Hier waren in letzter Zeit keine Reparaturen vorgenommen worden.
Hector begegnete einem Mann, dessen Name offenbar Herman war, doch Herman zeigte keine Lust, sich zu unterhalten. Hector fragte ihn, wie viel Miete diese Wohnungen kosteten, und Herman antwortete, er zahle keine Miete, sondern habe sich einfach so hier eingerichtet. Die Anwesenheit eines Uniformierten verlieh dem Gespräch einen sehr frostigen Unterton.
Am anderen Ende des Gebäudes stieß Hector auf zehn weitere Wohnungen ähnlicher Bauart. Hinter einer der Türen weinte ein Kind, und Hector bat den Mann vom Sicherheitsdienst, sich im Hintergrund zu halten. Auf sein Klopfen öffnete eine junge Mutter; sie hatte ein Baby auf dem Arm, drei Kleinkinder drängten sich hinter ihr. Hector sagte ihr, er arbeite für eine Anwaltskanzlei. Das Gebäude sei verkauft worden, und sie werde in einigen Tagen ausziehen müssen. Anfangs sagte sie, sie wohne ohne Wissen des Eigentümers hier, doch dann ging sie schnell zum Angriff über. Es sei ihre Wohnung. Sie habe sie von einem Mann namens Johnny gemietet, der jeden Monat um den fünfzehnten herum vorbeikam und hundert Dollar kassierte. Nichts Schriftliches. Sie habe keine Ahnung, wem das Gebäude gehöre, sie habe nur mit Johnny zu tun. Sie sei seit drei Monaten hier und könne nicht weg, weil sie nichts anderes habe. Sie arbeite zwanzig Stunden pro Woche in einem Lebensmittelgeschäft.
Hector sagte ihr, sie solle ihre Sachen packen und sich darauf gefasst machen, dass sie die Wohnung würde räumen müssen. Das Gebäude werde in zehn Tagen abgerissen. Sie war verzweifelt. Hector versuchte sie
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