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Der Verrat

Der Verrat

Titel: Der Verrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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waren als Tillman Gantry.
    Für morgen wurde eine weitere Folge versprochen: ein Blick auf das kurze, traurige Leben von Lontae Burton.
    Wie lange würde Arthur Jacobs noch zulassen, dass der Name seiner geliebten Kanzlei in den Schmutz gezogen wurde? Sie war ein so leichtes Ziel, und die Washington Post stand in dem Ruf, hartnäckig zu sein. Der Reporter machte offenbar Überstunden. Und eine Geschichte würde zur anderen führen.
    Es war zwanzig nach neun, als ich mit meinem Anwalt am Carl Moultrie Building in der Innenstadt eintraf, an der Ecke 6th Street und Indiana Avenue. Ich war nie auch nur in der Nähe dieses Gebäudes gewesen, in dem die Zivil- und Strafsachen im District of Columbia verhandelt wurden. Vor dem Eingang stand eine Schlange, die langsam vorrückte, während Anwälte und Kläger, Beklagte und Verbrecher durch einen Metalldetektor gingen und sich nach Waffen durchsuchen ließen. Im Gebäude herrschte reger Betrieb: Die Eingangshalle war voller nervöser Menschen, und darüber erhoben sich vier Stockwerke mit Korridoren und Gerichtssälen.
    Richter Norman Kisner saß in der ersten Etage zu Gericht, in Raum Nr. 114. Eine Prozessliste an der Tür führte mich unter »Erstmaliges Erscheinen« auf. Außer mir standen noch die Namen elf anderer Krimineller darauf. Die Anklagebank drinnen war leer, und Anwälte eilten geschäftig umher. Mordecai verschwand im Richterzimmer, und ich setzte mich in die zweite Reihe, blätterte in einer Zeitschrift und bemühte mich, einen äußerst gelangweilten Eindruck zu machen.
    »Guten Morgen, Michael«, sagte jemand im Mittelgang. Es war Donald Rafter, der seine Aktentasche in beiden Händen hielt. Hinter ihm stand ein Mann aus der Prozessabteilung, an dessen Namen ich mich jedoch nicht erinnerte.
    Ich nickte und brachte ein »Hallo« heraus.
    Sie gingen weiter und setzten sich auf die andere Seite des Gangs. Sie vertraten die Opfer und waren daher berechtigt, in jedem Stadium des Verfahrens anwesend zu sein.
    Es war mein erstes Erscheinen als Angeklagter. Ich würde vor dem Richter stehen, während er mir die Anklage vorlas. Ich würde mich für nicht schuldig bekennen und unter den bereits ausgesprochenen Kautionsbedingungen entlassen werden. Was wollte Rafter hier?
    Es dauerte eine Weile, bis mir die Antwort dämmerte. Ich starrte auf die Zeitschrift, versuchte, ganz ruhig zu bleiben, und kam zu dem Schluss, dass seine Anwesenheit lediglich eine Erinnerung sein sollte. Die Kanzlei betrachtete den Diebstahl als ernste Angelegenheit und wollte mich im Auge behalten. Rafter war der gerissenste und gemeinste Prozessanwalt von Drake & Sweeney, und sein Anblick im Gerichtssaal sollte mich erzittern lassen.
    Um halb zehn erschien Mordecai und winkte mich zu sich. Der Richter erwartete mich in seinem Zimmer. Mordecai stellte mich vor, und dann setzten wir uns an einen kleinen Tisch.
    Richter Kisner war mindestens siebzig. Er hatte buschiges, graues Haar, einen schütteren grauen Bart und braune Augen, die mich zu durchbohren schienen, wenn er mit mir sprach. Mein Anwalt und er kannten sich seit vielen Jahren.
    »Ich habe gerade zu Mordecai gesagt«, begann er und machte eine Geste zu meinem Anwalt hin, »dass dies ein sehr ungewöhnlicher Fall ist.«
    Ich nickte. Vor allem für mich war dieser Fall ungewöhnlich.
    »Ich kenne Arthur Jacobs seit dreißig Jahren. Ich kenne eine Menge der Anwälte in dieser Kanzlei. Es sind gute Anwälte.«
    Das waren sie wirklich. Sie stellten nur die besten ein und gaben ihnen den letzten Schliff. Dass der Richter, der meinen Fall verhandelte, die Opfer so sehr bewunderte, war mir unbehaglich.
    »Der finanzielle Wert einer aktiven Akte aus dem Büro eines Anwalts ist schwer einzuschätzen. Sie besteht aus lauter Papieren, die nur für den Anwalt einen Wert haben. Man kann sie nicht auf der Straße verkaufen. Das soll natürlich nicht heißen, dass ich Sie beschuldige, die Akte gestohlen zu haben.«
    »Natürlich.« Ich war mir nicht sicher, ob ich verstand, was er meinte, aber ich wollte, dass er fortfuhr.
    »Angenommen, die Akte befindet sich in Ihrem Besitz, und angenommen, Sie haben sie aus der Kanzlei entfernt. Wenn Sie sie jetzt, unter meiner Aufsicht, zurückgeben würden, würde ich ihren Wert auf etwas weniger als hundert Dollar festsetzen. Dann wäre der Diebstahl ein Vergehen, das mit ein bißchen Papierkram erledigt wäre. Selbstverständlich dürften Sie keinerlei Informationen aus dieser Akte in irgendeiner Form

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