Der Verrat
Ladendiebstahls, Jugendgericht. Drei Monate später Trunkenheit in der Öffentlichkeit, Jugendgericht. Mit fünfzehn Besitz von Marihuana, Jugendgericht. Sieben Monate später dasselbe. Mit sechzehn wegen Prostitution festgenommen und nach Erwachsenenstrafrecht verurteilt, aber keine Gefängnisstrafe. Verhaftung wegen schweren Diebstahls (eines tragbaren CD-Spielers aus einer Pfandleihe); verurteilt, aber keine Gefängnisstrafe. Mit achtzehn Geburt von Ontario im Central Hospital, auf der Geburtsurkunde war der Name des Vaters nicht vermerkt. Zwei Monate nach der Geburt Verhaftung wegen Prostitution, verurteilt, aber keine Gefängnisstrafe. Mit zwanzig Geburt der Zwillinge Alonzo und Dante, ebenfalls im General Hospital. Auch hier war kein Vater angegeben. Und Temeko, das Baby mit der nassen Windel, das Lontae mit einundzwanzig bekommen hatte.
Doch in dieser traurigen Geschichte gab es einen Hoffnungsschimmer. Nach Temekos Geburt landete Lontae im House of Mary, einem Tagesheim für Frauen ähnlich dem Naomi, und lernte eine Sozialarbeiterin namens Nell Cather kennen.
Miss Cather wurde in dem Artikel ausführlich zitiert.
Nach ihrer Schilderung von Lontaes letzten Monaten war diese entschlossen gewesen, die Straße hinter sich zu lassen und ihr Leben in Ordnung zu bringen.
Sie hatte gewissenhaft die Anti-Baby-Pille genommen, die vom House of Mary ausgegeben wurde, und sich mit aller Kraft bemüht, die Finger von Alkohol und Drogen zu lassen. Sie hatte an den Gruppensitzungen teilgenommen und tapfer gegen ihre Süchte angekämpft, auch wenn sie immer wieder Rückschläge erlitten hatte. Ihre Lese- und Schreibfertigkeiten hatten sich rasch verbessert, und sie hatte davon geträumt, eine feste Arbeit zu finden, mit der sie ihre kleine Familie ernähren könnte.
Miss Cather hatte ihr schließlich einen Job als Packerin in einem großen Lebensmittelgeschäft vermittelt, zwanzig Wochenstunden für 4 Dollar 75 pro Stunde. Lontae hatte nicht einen einzigen Tag gefehlt.
Eines Tages im vergangenen Herbst hatte sie Nell Cather zugeflüstert, sie habe eine Wohnung gefunden, doch es dürfe niemand davon wissen. Da das zu ihrem Aufgabenbereich gehörte, hatte Nell die Wohnung besichtigen wollen, aber Lontae hatte sich geweigert. Die Wohnung sei nicht legal, hatte sie erklärt. Es sei eine kleine Zwei-Zimmer-Wohnung mit einem intakten Dach und einer verschließbaren Tür. Bad und Toilette seien in der Nähe, und sie zahle hundert Dollar pro Monat, in bar.
Ich notierte mir die Namen Nell Cather und House of Mary und lächelte bei dem Gedanken daran, wie sie im Zeugenstand stehen und den Geschworenen die Geschichte der Familie Burton erzählen würde.
Lontae hatte schreckliche Angst, man könnte ihr die Kinder wegnehmen, wie es ja oft geschah. Die meisten obdachlosen Mütter im House of Mary hatten ihre Kinder verloren, und je öfter Lontae diese furchtbaren Geschichten hörte, desto mehr wuchs ihre Entschlossenheit, ihre Familie zusammenzuhalten. Sie lernte noch eifriger, machte sich sogar mit den Grundzügen der Bedienung von Computern vertraut und schaffte es einmal, vier Tage ohne Drogen zu bleiben.
Dann wurde sie aus ihrer Wohnung vertrieben, und das bißchen, was sie besaß, wurde zusammen mit ihren Kindern auf die Straße geworfen. Miss Cather sah sie am Tag danach: Sie war ein Wrack. Die Kinder waren hungrig und schmutzig, und Lontae hatte Drogen genommen. Eine der Regeln des House of Mary besagte, dass niemand aufgenommen wurde, der offensichtlich betrunken war oder unter dem Einfluss von Drogen stand. Die Leiterin musste Lontae bitten zu gehen. Miss Cather sah sie nie wieder und hörte auch nichts mehr von ihr, bis sie aus der Zeitung von ihrem Tod erfuhr.
Als ich diesen Artikel gelesen hatte, dachte ich an Braden Chance und hoffte, dass er ihn ebenfalls gelesen hatte, in der behaglichen morgendlichen Wärme seines hübschen Hauses in einem Vorort in Virginia. Ich war sicher, dass er bereits auf den Beinen war. Wie konnte ein Mensch, der derart unter Druck stand, überhaupt schlafen?
Ich wünschte mir, dass er litt, dass ihm bewusst wurde, wie viel Unglück und Elend er mit seiner zynischen Nichtachtung der Rechte und der Würde anderer über diese Menschen gebracht hatte. Du hast in deinem schönen Büro gesessen, Braden, du hast hart und gut bezahlt gearbeitet und den Papierkram für deine reichen Mandanten erledigt, du hast die Aktennotizen der Gehilfen gelesen, die für dich die schmutzige Arbeit gemacht
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