Der Verrat
haben, und mit kalter Berechnung die Entscheidung getroffen, eine Zwangsräumung durchzuziehen, mit der du hättest warten müssen. Es waren ja bloß ein paar Hausbesetzer, nicht wahr, Braden?
Unbedeutende schwarze Obdachlose, die wie die Tiere lebten. Es gab nichts Schriftliches, keine Verträge, nichts, und darum hatten diese Leute auch keine Rechte. Schmeißt sie raus. Jeder Aufschub hätte das ganze Projekt verzögert.
Am liebsten hätte ich ihn angerufen und mit der Frage: »Na, wie geht’s Ihnen jetzt, Braden?« von seinem Morgenkaffee aufgeschreckt.
Der zweite Artikel war eine angenehme Überraschung, jedenfalls aus juristischer Sicht. Er war allerdings auch beunruhigend.
Ein Freund von Lontae war aufgetaucht, ein neunzehnjähriger Krimineller namens Kito Spires. Sein Foto würde jedem gesetzestreuen Bürger Angst und Schrecken einjagen. Kito hatte eine Menge zu sagen. Er behauptete, der Vater der drei jüngsten Kinder Lontaes zu sein. Er sei in den letzten drei Jahren hin und wieder mit ihr zusammen gewesen - mehr hin als wieder.
Kito war ein typisches Kind der Innenstadt: ein arbeitsloser junger Mann ohne Schulabschluss und mit einem langen Vorstrafenregister. Seine Glaubwürdigkeit würde in Frage gestellt werden.
Er habe in dem Lagerhaus mit Lontae und den Kindern gelebt, sagte er. Er habe sich an der Miete beteiligt, wann immer er konnte. Irgendwann nach Weihnachten hätten sie sich gestritten, und er sei ausgezogen. Gegenwärtig lebte er bei einer Frau, deren Mann im Gefängnis saß.
Er wusste nichts von der Zwangsräumung, fand aber, dass sie nicht rechtens gewesen war. Als er über die Verhältnisse im Lagerhaus befragt wurde, erwähnte er genug Details, um mich zu überzeugen, dass er tatsächlich dagewesen war.
Seine Beschreibung deckte sich im wesentlich mit der in Hectors Aktennotiz.
Er habe nicht gewusst, dass das Lagerhaus Tillman Gan-try gehört habe. Ein Typ namens Johnny habe die Miete kassiert, immer am fünfzehnten des Monats. Hundert Dollar.
Mordecai und ich würden ihn bald finden. Unsere Zeugenliste wurde länger, und Mr. Spires konnte sich zu unserem Star entwickeln.
Kito war tieftraurig über den Tod seiner Kinder und ihrer Mutter. Ich hatte bei dem Trauermarsch die Augen offen gehalten - Kito war mit Sicherheit nicht dort gewesen.
Unsere Klage bekam mehr Publicity, als wir uns hätten träumen lassen. Wir wollten nur zehn Millionen, eine hübsche, runde Summe, über die jeden Tag geschrieben und diskutiert wurde. Lontae hatte mit Tausenden von Männern geschlafen. Kito war der erste mögliche Vater. Wenn es um soviel Geld ging, würden bald weitere Väter auftauchen, gramgebeugt über den Verlust ihrer Kinder. Auf den Straßen von Washington gab es Kandidaten genug.
Das war das Beunruhigende an diesem Artikel.
Doch wir sollten nie Gelegenheit bekommen, mit Kito Spires zu reden.
Ich rief bei Drake & Sweeney an, um mit Braden Chance zu sprechen. Man stellte mich zu einer Sekretärin durch. Ich wiederholte meine Bitte. »Und wer spricht dort, bitte?«
Ich nannte einen erfundenen Namen und gab an, ich sei ein möglicher Mandant, der auf Empfehlung von Clayton Bender von RiverOaks anrufe.
»Mr. Chance ist im Augenblick nicht erreichbar.«
»Dann sagen Sie mir, wann ich ihn erreichen kann«, sagte ich schroff.
»Er ist im Urlaub.«
»Na gut. Und wann wird er zurück sein?«
»Das weiß ich nicht genau«, sagte sie. Ich legte auf. Der Urlaub würde einen Monat dauern und sich dann in ein Sabbatjahr verwandeln, und irgendwann würde man schließlich zugeben müssen, dass man sich von Chance getrennt hatte.
Ich hatte den Verdacht gehabt, dass er nicht mehr da sein würde; mein Anruf hatte den Verdacht bestätigt.
In den vergangenen sieben Jahren war die Kanzlei mein Leben gewesen, und so fiel es mir nicht schwer, die weiteren Reaktionen vorauszusehen. Man war zu stolz, zu hochmütig, um diese öffentliche Entwürdigung hinzunehmen.
Sobald die Klage eingereicht war, hatte man aus Braden Chance die Wahrheit herausgebracht. Ob er freiwillig damit herausgerückt war oder ob man ihn hatte unter Druck setzen müssen, war unerheblich. Er hatte sie von Anfang an belogen, und nun wurde die Kanzlei als Ganzes verklagt. Vielleicht hatte er ihnen das Original von Hectors Aktennotiz gezeigt, zusammen mit der Quittung für Lontae, doch wahrscheinlicher war, dass er diese Schriftstücke bereits beseitigt hatte und beschreiben musste, was er in den Aktenvernichter gesteckt hatte. Die
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