Der Verrat
in der Abteilung für Tierverwahrung arbeitete. Manche Wagen, sagte sie, landeten aber woanders, und es könne durchaus sein, dass meiner noch bei dem Abschleppunternehmer herumstehe. Diese Unternehmen seien in privater Hand, erklärte sie mir, und das habe schon immer Probleme bereitet. Sie habe früher bei der Verkehrspolizei gearbeitet, ihre Arbeit aber von Herzen gehasst.
Mir fiel Mordecai ein, meine neue Quelle für alle Informationen, die irgend etwas mit den Straßen von Washington zu tun hatten. Ich wartete bis neun, dann rief ich ihn an. Ich erzählte ihm die Geschichte, sagte ihm, ich sei zwar im Krankenhaus, aber in blendender Verfassung, und fragte ihn, ob er wisse, wie man einen abgeschleppten Unfallwagen finden könne. Er sagte, er habe da eine Idee.
Danach rief ich Polly an und erzählte ihr dasselbe.
»Heißt das, Sie kommen nicht?« fragte sie bestürzt.
»Polly, ich habe Ihnen doch gerade gesagt, dass ich im Krankenhaus liege.«
Sie zögerte und bestätigte damit meine Befürchtungen. Ich sah die Torte geradezu vor mir, daneben eine Schüssel mit Punsch, das Ganze wahrscheinlich in einem Konferenzzimmer, und fünfzig Leute standen herum, brachten Toasts aus und hielten kurze Reden darüber, was für ein wunderbarer Mensch ich war. Ich war auf einigen dieser Parties gewesen. Sie waren grässlich. Ich wollte bei meinem Abschied nicht dabei sein.
»Wann werden Sie entlassen?« fragte sie.
»Weiß ich nicht. Vielleicht morgen.« Das war gelogen. Ich würde noch vor Mittag gehen, mit oder ohne Einverständnis des behandelnden Arztes.
Abermaliges Zögern. Die Torte, der Punsch, die wichtigen Reden furchtbar beschäftigter Männer, vielleicht auch ein, zwei Geschenke. Was sollte sie tun?
»Das tut mir leid«, sagte sie.
»Mir auch. Hat jemand nach mir gefragt?«
»Nein. Noch nicht.«
»Gut. Sagen Sie Rudolph bitte, dass ich einen Unfall hatte. Ich werde ihn später anrufen. Ich muss jetzt aufhören. Die wollen noch ein paar Untersuchungen machen.«
Und so fand meine einst vielversprechende Karriere bei Drake & Sweeney ein unspektakuläres Ende. Ich schwänzte meine eigene Abschiedsfeier. Ich war zweiunddreißig und hatte die Fesseln der Sklavenarbeit für eine große Kanzlei abgeschüttelt. Das Geld hatte ich ebenfalls abgeschüttelt. Ich konnte tun, was mein Gewissen mir befahl. Es war ein großartiges Gefühl - wenn ich nur nicht bei jeder Bewegung ein Messer zwischen den Rippen gespürt hätte.
Claire kam kurz nach elf und beriet sich auf dem Gang mit dem behandelnden Arzt.
Dann traten sie ein und verkündeten meine Entlassung. Ich zog die Kleider an, die Claire mir mitgebracht hatte, und dann fuhr sie mich nach Hause. Während der kurzen Fahrt sprachen wir nur wenig. Es gab keine Versöhnung. Warum hätte ein simpler Autounfall irgend etwas ändern sollen? Sie tat das alles nicht als Ehefrau, sondern als Freundin und Ärztin.
Zu Hause kochte sie mir eine Tomatensuppe und deckte mich auf dem Sofa zu. Dann reihte sie meine Tabletten auf der Küchentheke auf, gab mir ein paar ärztliche Anweisungen und ging.
Ich blieb zehn Minuten liegen, aß die Hälfte der Suppe und ein paar Salzkräcker und griff zum Telefon. Mordecai hatte nichts in Erfahrung bringen können.
Ich schlug die Mietangebote in der Zeitung auf und sprach mit Maklern und Hausverwaltern. Dann rief ich eine Mietwagenfirma an, bestellte einen Wagen mit Fahrer und duschte ausgiebig, um die verspannten Muskeln zu lockern.
Mein Fahrer hieß Leon. Ich setzte mich auf den Beifahrersitz und versuchte, nicht bei jedem Schlagloch zu stöhnen und das Gesicht zu verziehen.
Wenn ich mir auch keine schöne Wohnung leisten konnte, so sollte sie doch wenigstens in einer sicheren Gegend liegen. Leon hatte ein paar Vorschläge. Wir hielten an einem Zeitungsstand und ließen uns zwei Gratis-Broschüren über den Grundstücksmarkt in Washington geben.
Nach Leons Meinung war Adams-Morgan, nördlich des Dupont Circle, eine gute Wohngegend - allerdings könne sich das, warnte er mich, innerhalb eines halben Jahres ändern. Es war ein bekanntes Viertel, in dem ich schon viele Male gewesen war, ohne das Verlangen zu verspüren, mich dort umzusehen. Entlang der Straßen standen Reihenhäuser aus der Jahrhundertwende, die allesamt bewohnt waren - es war also ein für Washingtoner Verhältnisse belebtes Viertel. Die Bars und Klubs in dieser Gegend waren im Augenblick sehr beliebt, und laut Leon befanden sich hier auch die besten neuen Restaurants
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