Der Verrat
gab, und ich bereitete mich innerlich darauf vor. Ich dachte mir Lügen aus, mit denen ich meine Spur verwischen würde, und weitere Lügen, um die zuerst ausgedachten abzusichern. Jetzt, da ich etwas gestohlen hatte, erschienen mir diese Lügen wie eine Kleinigkeit. Hector handelte vielleicht im Auftrag der Kanzlei; es bestand die Möglichkeit, dass er verkabelt war. Ich würde aufmerksam zuhören und so wenig wie möglich sagen.
Die Bar war erst halb voll. Ich kam zehn Minuten zu früh, aber Hector erwartete mich bereits in einer kleinen Nische. Als ich näher kam, sprang er auf und streckte mir die Hand hin. »Sie müssen Michael sein. Ich bin Hector Palma aus der Immobilienabteilung. Freut mich, Sie kennenzulernen.«
Es war wie ein Überfall, eine Überschwänglichkeit, die mich wachsam werden ließ.
Ich schüttelte ihm die Hand und sagte etwas wie: »Freut mich ebenfalls.«
Er zeigte auf die Nische. »Setzen wir uns doch«, sagte er mit einem herzlichen Lächeln. Ich ging vorsichtig in die Knie und zwängte mich zwischen Tisch und Bank.
»Was ist mit Ihrem Gesicht passiert?« fragte er.
»Ich habe einen Airbag geküsst.«
»Ja, ich hab von dem Unfall gehört«, sagte er schnell. Sehr schnell. »Ist alles in Ordnung? Nichts gebrochen?«
»Nein«, sagte ich langsam und versuchte, mir ein Bild von ihm zu machen.
»Ich habe gehört, den anderen hat’s erwischt«, sagte er einen Sekundenbruchteil, nachdem ich geantwortet hatte.
Er bestimmte den Kurs dieses Gesprächs - ich sollte ihm folgen.
»Ja, es war irgendein Dealer.«
»Was für eine Stadt!« sagte er, als der Ober erschien. »Was möchten Sie trinken?« fragte Hector mich.
»Einen Kaffee, schwarz, bitte«, sagte ich. In diesem Augenblick, während er darüber nachdachte, was er trinken wollte, stieß Hector mich mit der Schuhspitze an.
»Was für Bier haben Sie?« fragte er den Ober, eine Frage, die sie hassten. Der Ober sah starr geradeaus und rasselte die Marken herunter.
Ich sah Hector an. Seine Hände lagen gefaltet auf dem Tisch. Während der Ober uns abschirmte, krümmte Hector den rechten Zeigefinger und zeigte auf seine Brust.
»Molson«, sagte er plötzlich, und der Ober verschwand.
Er war verkabelt, und wir wurden beobachtet. Egal, wo sie saßen: Der Ober hatte uns verdeckt. Instinktiv wollte ich mich nach den anderen Leuten in der Bar umdrehen, doch ich widerstand der Versuchung, unter anderem weil mein Hals so steif wie ein Brett war.
Das erklärte die herzliche Begrüßung, bei der er sich benommen hatte, als wären wir uns noch nie begegnet. Hector war den ganzen Tag verhört worden und hatte alles geleugnet.
»Ich bin Gehilfe in der Immobilienabteilung«, erklärte er. »Sie kennen sicher Braden Chance, einen unserer Teilhaber.«
»Ja.« Da meine Antworten aufgezeichnet wurden, beschloss ich, so wenig wie möglich zu sagen.
»Ich arbeite hauptsächlich für ihn. Wir haben ein paar Worte gewechselt, als Sie letzte Woche in seinem Büro waren.«
»Wenn Sie es sagen … Ich kann mich nicht erinnern, Sie gesehen zu haben.«
Ich bemerkte ein ganz schwaches Lächeln, eine Entspannung der Muskeln rings um die Augen - nichts, was man auf dem Film einer geheimen Überwachungskamera sehen würde. Ich stieß ihn mit dem Fuß an und hoffte, dass wir zur selben Melodie tanzten.
»Ich wollte mit Ihnen sprechen, weil eine Akte aus Bradens Büro fehlt.«
»Und ich soll der Dieb sein?«
»Nein, aber Sie sind einer der Verdächtigen. Es handelt sich um die Akte, nach der Sie gefragt hatten, als Sie letzte Woche in sein Büro geplatzt sind.«
»Dann werde ich also tatsächlich beschuldigt«, sagte ich wütend.
»Noch nicht. Regen Sie sich nicht auf. Die Kanzlei untersucht den Fall sehr gründlich, und wir reden einfach mit allen, die in Frage kommen könnten. Da ich gehört habe, wie Sie Braden nach der Akte gefragt haben, wurde ich beauftragt, mit Ihnen zu sprechen. So einfach ist das.«
»Und ich weiß nicht, wovon Sie eigentlich reden. So einfach ist das.«
»Sie wissen nichts von dieser Akte?«
»Natürlich nicht. Warum sollte ich eine Akte aus dem Büro eines Teilhabers stehlen?«
»Würden Sie sich einem Lügendetektortest unterziehen?«
»Selbstverständlich«, sagte ich entschlossen, ja indigniert. Selbstverständlich würde ich mich unter keinen Umständen einem Lügendetektortest unterziehen.
»Gut. Jeder, der jemals mit dieser Akte zu tun gehabt hat, wird gebeten werden, diesen Test zu machen.«
Das Bier und der
Weitere Kostenlose Bücher