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Der Verrat

Der Verrat

Titel: Der Verrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rowland
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Reiko vorsichtig durch die offene Tür spähte, erblickte sie Sano, der dabei war, sich zu entkleiden. Vor Erleichterung fiel Reiko ein Stein vom Herzen. Sie ließ den Dolch sinken und betrat das Schlafgemach.
    »Den Göttern sei Dank, dass du wieder zu Hause bist«, sagte sie.
    Sano nickte bloß, ohne sie anzuschauen. Seine Miene war steinern. Er ließ seine Schärpe auf den Bretterfußboden fallen, zog seinen Umhang aus und streifte Hose und Strümpfe ab. Reiko sah, dass seine Hände zitterten, und seine straffen Bauchmuskeln zogen sich krampfhaft zusammen, als er sich bückte und seinen Lendenschurz auszog. Er kauerte sich hin, leerte einen Eimer Wasser über sich aus und zitterte, als der eisige Schwall ihm über den Körper lief.
    Besorgt über sein seltsames Verhalten, legte Reiko den Dolch zu Boden und kniete sich neben Sano. »Was ist in Fujios Haus geschehen?«
    Sano ergriff einen Beutel Reiskleieseife und rieb sich damit hastig den Oberkörper ab. Seine Zähne schlugen vor Kälte aufeinander, als er erwiderte: »Wir haben die Leiche einer Frau entdeckt.«
    »Oh …« Nun wusste Reiko, weshalb Sano jetzt noch badete, obwohl es mitten in der Nacht war: Er wollte sich von der spirituellen Verunreinigung befreien, den der Kontakt mit dem Tod bewirkt hatte. Reiko unterdrückte weitere Fragen, die ihr auf der Zunge lagen, und sagte stattdessen: »Warte, ich helfe dir.«
    Sie zündete die Holzkohleöfen an. Zum Glück war noch warmes Wasser in dem runden, hölzernen Badezuber, da Reiko selbst an diesen Abend ein Bad genommen hatte. Sie seifte Sano den Rücken ein und spülte den dünnen Schaum mit klarem Wasser ab. Sano stieg in den Zuber, ließ sich bis zum Kinn ins Wasser sinken, seufzte wohlig und schloss die Augen. Reiko kniete sich neben den Badezuber. Allmählich ließ Sanos Zittern nach.
    »Die Tote war mit dem Kimono bekleidet, den Kurtisane Wisterie in der Nacht getragen hat, in der sie verschwunden ist«, sagte Sano mit müder Stimme.
    Bestürzt fragte Reiko: »Aber ihr wisst nicht mit Sicherheit, dass es die Leiche Wisteries ist, die ihr gefunden habt, oder?«
    »Der toten Frau fehlte der Kopf.«
    Entsetzt schnappte Reiko nach Luft. »Wurde sie enthauptet? War das die Todesursache?«
    »Das weiß ich noch nicht. Ich habe die Tote von meinen Männern in die Leichenhalle nach Edo bringen lassen, wo Dr. Ito sie untersuchen wird. Aber dass die Frau keines natürlichen Todes gestorben ist, dürfte klar sein. Sie wurde ermordet.«
    »Habt ihr eine Waffe gefunden, du und deine Männer?«, wollte Reiko wissen.
    Sano schlug die Augen auf, in denen sich noch immer Entsetzen spiegelte, als sähe er nicht Reikos Gesicht vor sich, sondern den Schauplatz des Mordes. »Wir haben das Haus durchsucht«, sagte er, »aber nichts gefunden. Vielleicht hat der Mörder die Waffe mitgenommen oder hat sie irgendwo im Wald verschwinden lassen. Gleiches gilt für den Kopf der Frau.«
    Reiko schauderte. »Glaubst du, Fujio hat Wisterie getötet?«
    »Nun, sie war in seinem Haus«, entgegnete Sano. »Alles deutet darauf hin.«
    Reiko spürte, dass nicht nur die Entdeckung der Leiche und die Tatsache, dass Sano eine Hauptzeugin verloren hatte, ihm Sorgen bereiteten. Da war noch etwas anderes, das Reiko aber nicht ergründen konnte. Sie hätte Sano gern danach gefragt, doch eine unterschwellige, unerklärliche Furcht hielt sie davon ab. Stattdessen erkundigte sie sich: »Wie ist Wisterie in das Haus gekommen?«
    »Vielleicht hat Fujio sie aus Yoshiwara herausgeschmuggelt und sie in dem Haus versteckt.« Sanos Stimme hörte sich an, als müsste er sich zu jedem Wort zwingen, und er starrte auf das Badewasser, ohne den Blick zu heben.
    »Aber Fujio musste doch wissen, dass er sich selbst belastet, falls er Wisterie in seinem eigenen Haus ermordet hat und sogar ihren Leichnam dort liegen ließ«, sagte Reiko.
    »Vielleicht hat er nicht damit gerechnet, dass sie gefunden wird. Das Haus liegt sehr einsam. Hätte ich diese Botschaft nicht bekommen, hätte ich die Leiche dort niemals entdeckt.«
    Wieder spürte Reiko, dass Sano ihr nicht alles erzählte. »Wenn Fujio Wisterie getötet hat, bedeutet das dann nicht auch, dass er der Mörder Fürst Mitsuyoshis ist?«
    »Gut möglich.«
    »Oder könnte jemand anders Wisterie in dem Haus entdeckt und sie ermordet haben?« Es war Reiko zuwider, Sano ein Gespräch aufzuzwingen, das er offensichtlich nicht führen wollte, aber sie mussten sich Klarheit darüber verschaffen, welche Bedeutung dieser

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