Der Verrat
bestand hauptsächlich aus wenigen Straßen, die von Wohnhäusern und Läden, Gaststuben und Teehäusern gesäumt wurden. Als Hirata, begleitet von zwei Ermittlern, Imado erreichte, ritt er direkt zum Stadtrand, wo mehrere Villen standen, die wohlhabenden Bordellbesitzern und Geschäftsleuten aus Yoshiwara gehörten.
Fujios große, strohgedeckte, in mehrere Wohnbereiche unterteilte Villa war mitsamt dem Garten und dem Hof von einer Steinmauer umschlossen. Hinter dieser Mauer erstreckte sich ausgedehntes Brachland, dessen Eintönigkeit nur von verstreut liegenden, einzelnen Bauernhäusern aufgelockert wurde. Dünne weiße Wolkenstreifen spannten sich am blassblauen Himmel, von dem an diesem kalten, stürmischen Morgen eine fahle Wintersonne schien, als Hirata und die Ermittler sich vor dem geöffneten Tor des Hauses von den Pferden schwangen und den Hof betraten.
Ein Junge erschien, nachdem Hirata an die Tür geklopft hatte. »Wir möchten mit Fujio sprechen.«
Der Junge eilte davon. Bald darauf erschien der hokan gähnend an der Tür. Sein hübsches Gesicht war aufgedunsen, sein Haar zerzaust. Er trug einen rot und blau gemusterten Morgenmantel, und sein Atem roch nach Schnaps und Tabakrauch. Verdutzt musterte er Hirata aus blutunterlaufenen Augen, dann aber lächelte er und verneigte sich höflich.
»Verzeiht, dass ich wie ein Bettler vor Euch hintrete«, sagte er, »aber letzte Nacht war ich lange aus. Was kann ich für Euch tun?«
»Ich muss mit Euch reden«, sagte Hirata, nachdem er sich vorgestellt hatte. »Darf ich hereinkommen?«
»Falls es darum geht, was mit Fürst Mitsuyoshi geschehen ist – ich habe dem sōsakan-sama schon alles gesagt, was ich weiß.« Stöhnend rieb Fujio sich die Schläfen. »Gnädige Götter, habe ich Kopfschmerzen! Ich sollte bei meinen Auftritten nicht so viel trinken.«
»Es geht um Euer Haus in den Hügeln«, sagte Hirata.
Erschrecken vertrieb die Müdigkeit aus dem Gesicht des hokan . »Oh …«, sagte er, trat einen Schritt zurück und prallte mit zwei Frauen zusammen, die hinter ihm im Türeingang erschienen. Die eine war jung, hübsch und schwanger, die andere war mittleren Alters und machte ein finsteres Gesicht.
»Wer sind diese Männer?«, wandte die jüngere Frau sich mit schriller, boshafter Stimme an Hoshina. »Was wollen sie?«
»Das geht dich nichts an«, erwiderte Hoshina mit offensichtlicher Verärgerung.
»Wie kannst du nur so unhöflich sein und deine Gäste draußen stehen lassen?«, schimpfte die ältere Frau. »Bitte die Herren herein!«
Fujio verdrehte die Augen. »Meine Frau und meine Schwiegermutter«, sagte er zu Hirata. »Könnten wir uns bitte woanders unterhalten?«
Hirata war einverstanden. Fujio verschwand im Haus, um sich umzukleiden, und kam in einem braunen Umhang und einem Kimono von gleicher Farbe über einer weiten, gestreiften Hose zurück. Dann ging er mit Hirata über die schmale Straße in Richtung der Kleinstadt, gefolgt von den Ermittlern. Enten schnatterten in einem Graben, der am Straßenrand entlangführte; in der Ferne trieb ein Bauer mehrere Ochsen über das karge Land.
»Meine Frau und meine Schwiegermutter wissen nicht, dass ich das Haus in den Hügeln besitze«, sagte Fujio, »und ich möchte nicht, dass sie davon erfahren. Ich habe es mir vor ein paar Jahren als Sommerhaus gekauft.« Er warf Hirata einen Blick zu. »Seid Ihr verheiratet?«
»Nein«, antwortete Hirata. Nachdem er am Tag zuvor den Brief von Fürst Niu gelesen hatte, bezweifelte er auch, dass er jemals verheiratet sein würde, falls er nicht eine der Frauen ehelichte, die sein Vater als Braut für ihn erwählte. Dennoch hatte er die Hoffnung noch immer nicht ganz aufgegeben, dass die Nius sich mit seiner Familie aussöhnten, sodass er Midori doch noch zur Frau nehmen konnte.
»Nun, falls Ihr einmal heiratet, werdet Ihr feststellen, dass es einen Mann sehr in seinen Freiheiten einschränkt, eine Frau zu haben«, sagte Fujio, »besonders, wenn man mit ihren Eltern unter einem Dach wohnt. Deshalb habe ich das Haus im Hügelland. Ein Mann braucht einen Platz, an dem er wenigstens ein bisschen Ungestörtheit findet.«
»Und die Gesellschaft seiner Geliebten?«, sagte Hirata.
Ein schelmisches Lächeln legte sich auf Fujios Gesicht. »Zugegeben, mein Haus in den Hügeln ist wie geschaffen, sich ein wenig näher mit meinen weiblichen Bewunderern zu beschäftigen. Aber ich wäre ruiniert, würde mein Schwiegervater jemals herausfinden, dass ich seiner Tochter
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