Der Verrat
lauten Flüchen Sanos.
Die Augen vor Angst weit aufgerissen, wich Reiko zurück. Das war nicht mehr ihr Ehemann. Ein Dämon musste in Sano gefahren sein.
Plötzlich hielt Sano inne und stöhnte gequält auf. Dann schleuderte er die Waffe in den Garten und sank vor dem verstümmelten Strauch auf die Knie. Seine Wut war verraucht; sein Körper bebte. Reikos Angst verflog. Sie ging zu ihrem Gemahl und legte ihm die Arme um die Schultern.
In eine Decke gehüllt, saß Sano in seinen Privatgemächern und trank heißen Kräutertee, den Reiko ihm zubereitet hatte, um seine Lebensgeister zu wecken. Sie kniete vor ihm und beobachtete ihn ängstlich.
»Es tut mir Leid«, sagte er.
Sano bedauerte zutiefst, wie er sich verhalten und was er gesagt hatte. Er hatte sich von seinen Gefühlen hinreißen lassen, hatte den Azaleenbusch in einem würdelosen Wutausbruch zerhackt und Reiko Angst eingejagt. Niemals hätte Sano erwartet, dass sich so viel Enttäuschung in seinem Innern aufgestaut hatte. Es hatte ihn erleichtert, seinem Zorn gewaltsam Luft zu machen. Obwohl er nun wieder innere Ruhe verspürte, beschämte sein Verhalten ihn zutiefst. Und nichts hatte sich geändert. Der Shōgun verdächtigte ihn noch immer, Fürst Mitsuyoshi ermordet zu haben, und Polizeikommandeur Hoshina war noch immer fest entschlossen, ihm etwas anzuhängen. Wenn Sano überleben wollte, durfte er die Selbstbeherrschung nicht noch einmal verlieren.
»Willst du dein Amt wirklich aufgeben?«, fragte Reiko, noch immer beunruhigt.
»Nein.« Der kurze Augenblick der Rebellion war vorüber. Wohin sollte Sano auch gehen? Außerdem durfte er seine Ehre und die Zukunft seiner Familie nicht opfern. Noch durfte er seine Berufung aufgeben, die von ihm verlangte, dem bushido zu folgen, dem Weg des Kriegers, der das Leben eines Samurai bestimmte und der unbedingte Pflichterfüllung, Gehorsam und Mut verlangte.
»Was wirst du jetzt tun?«, fragte Reiko.
»Ich werde den wahren Mörder finden, meine Unschuld beweisen und das Vertrauen des Shōgun zurückgewinnen.« Feste Entschlossenheit, den Täter zu finden, und der Wunsch, dem Recht und der Gerechtigkeit zum Sieg zu verhelfen, brannten nun wieder in Sanos Innerem. »Es wird schwierig, weil sämtliche Hinweise bisher zu nichts geführt haben, aber es besteht noch Hoffnung.«
Sano und Reiko hoben den Blick, als Hirata in der Tür erschien. » Sumimasen – verzeiht, Herr, aber es gibt schlechte Nachrichten«, verkündete Hirata, der sichtlich verwirrt war. »Magistrat Aoki hat Fujio des Mordes an Kurtisane Wisterie für schuldig befunden und Momoko wegen Komplizenschaft verurteilt. Beide wurden bereits zum Richtplatz geführt.«
Reiko blickte bestürzt drein, während Sano einen tiefen, resignierten Seufzer ausstieß. Er hatte Fujios Verurteilung vorhergesehen, als ihm zu Ohren gekommen war, dass Magistrat Aoki das Gericht einberufen hatte. Momokos Verurteilung jedoch traf ihn vollkommen unvorbereitet.
»Komm herein. Nimm Platz und berichte uns, was genau geschehen ist«, forderte er Hirata auf.
Hirata kniete sich hin und erzählte. Sano wunderte sich, dass der Magistrat sein Urteil auf der Grundlage einer Geschichte gesprochen hatte, die weder er noch sonst jemand beweisen konnte. Nachdem Hirata geendet hatte, sagte Sano: »Heute scheint ein Tag der schlechten Nachrichten zu sein.« Dann erzählte er Hirata, was er selbst erlebt hatte.
»Jetzt sind unsere drei Verdächtigen tot.« Auf Hiratas Gesicht spiegelten sich Ratlosigkeit und Furcht um die Zukunft. »Darum richtet der Shōgun nun all seinen Zorn auf Euch.«
»Vielleicht haben Fujio, Momoko oder Nitta den Fürsten Mitsuyoshi tatsächlich ermordet«, sagte Reiko. »Schließlich sind sie nicht ohne Grund in Verdacht geraten. Es lohnt sich bestimmt, weitere Ermittlungen über sie anzustellen, auch wenn sie nicht mehr leben.«
»Das stimmt. Wir können trotzdem nach Beweisen für ihre Schuld suchen«, meinte Hirata, der ebenfalls nach einem Ausweg suchte.
»Und hoffen, dass es überhaupt Beweise gibt«, sagte Sano. »Denn ich fürchte, wir werden keinen einzigen Zeugen oder handfeste Beweise finden, die auf eine andere Person hindeuten als auf mich. Das Einzige, das den Shōgun von meiner Unschuld überzeugen würde, ist das Geständnis des Mörders. Und von einem Toten werden wir ein solches Geständnis kaum bekommen.«
Sanos Gemahlin und sein oberster Gefolgsmann nickten niedergeschlagen. Dann sagte Hirata zögernd: »Polizeikommandeur Hoshina
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