Der Verrat
lebhafte Neugier nicht verbergen.
»Willkommen«, murmelte Fürstin Yanagisawa. Unter den Ärmeln ihres Gewandes faltete sie ihre zitternden Hände. O-hanas kühnes, hübsches Gesicht schüchterte sie ein.
O-hana kniete nieder und verbeugte sich. »Es ist eine große Ehre für eine unbedeutende Person wie mich, zu Euch gerufen zu werden, ehrenwerte Fürstin.« In O-hanas eifriger Stimme schwang der Wunsch mit, sich bei ihrer Gastgeberin einzuschmeicheln. »Tausend Dank für Eure Einladung.«
Fürstin Yanagisawa hatte O-hana als vielversprechende Komplizin erkannt, als sie das Mädchen in Reikos Haus erblickt hatte. Zuerst aber musste sie O-hanas Charakter auf die Probe stellen. Die Fürstin, die ihrer Besucherin gegenüberkniete, zwang sich, O-hana ins Gesicht zu schauen. Die Augen des Mädchens funkelten vor Eifer und Tücke, was Fürstin Yanagisawa abstieß und zugleich erfreute.
»Darf ich dir eine Erfrischung anbieten?«, fragte die Fürstin.
»Oh, gern!«, erwiderte O-hana. »Ihr seid zu gütig, ehrenwerte Fürstin.« Während sie auf das Hausmädchen warteten, das Tee und eine Kleinigkeit zu essen bringen sollte, fuhr O-hana fort: »Euer Gemach ist viel schöner als das von Reiko- san .« Ihr wachsamer Blick glitt über die vergoldeten Wandschirme, das Regal mit dem antiken Porzellan, die Tische aus Lackarbeit, die Schränke und Truhen, die mit Einlegearbeiten aus Gold und Perlmutt verziert waren. »Und Euer Anwesen ist größer als das des sōsakan-sama .«
Fürstin Yanagisawa stellte zufrieden fest, dass das Mädchen ehrgeizig war, den Luxus mochte und nach einer höheren Anstellung strebte als der eines Kindermädchens. Es spielte keine Rolle, in welchem Maße O-hana ihrer Herrin Loyalität entgegenbrachte; wahrscheinlich würde ihr eine Verbindung zu jemandem, der ihre geheimen Wünsche erfüllen konnte, schwerer wiegen als ihre Treue gegenüber Reiko, Sano und dem kleinen Masahiro.
»Fühle dich wie zu Hause«, sagte Fürstin Yanagisawa, deren Selbstvertrauen wuchs.
»Ihr seid zu freundlich, ehrenwerte Fürstin. Vielen Dank«, erwiderte O-hana mit einem strahlenden Lächeln. »Als ich Eure Nachricht erhielt, konnte ich mir gar nicht vorstellen, was Ihr von mir wünscht …«
Beinahe hätte die Fürstin ihrer Besucherin einen finsteren Blick zugeworfen. Es stand O-hana nicht zu, das Gespräch auf den Grund der Einladung zu lenken. Das Kindermädchen war viel zu forsch, doch das kam Fürstin Yanagisawa sehr gelegen. Das kühne, ja, dreiste Auftreten O-hanas würde ihren Zielen dienlich sein.
»Wir werden gleich darüber sprechen«, sagte die Fürstin.
Die Erfrischungen wurden gebracht. Fürstin Yanagisawa, die zu angespannt war, um etwas essen zu können, beobachtete O-hana, die sich über den in Orangenschalen servierten Forellenrogen, sashimi , mit Wachteleiern gefüllte Garnelen, geröstete Ginkgo-Nüsse und den Kuchen hermachte. Das Kindermädchen schlang das Essen regelrecht herunter, als hätte es Angst, jemand würde ihm etwas wegnehmen. Fürstin Yanagisawa gefiel O-hanas Unsicherheit ebenso wie ihre Gier.
»Vielen Dank! Ich habe nie etwas Köstlicheres gegessen!«, sagte O-hana schließlich und leckte sich die Lippen. »Ich bedaure sehr, dass ich, ein schlichtes Kindermädchen, Eure Gastfreundschaft nicht erwidern kann.«
Fürstin Yanagisawa lächelte. Ihre Scheu wich, als sie spürte, dass sie zunehmend Macht über O-hana gewann. »Erzähl mir von dir«, forderte sie das Kindermädchen auf.
O-hana hob erstaunt die Augenbrauen. Sie wunderte sich, dass eine so hochrangige Dame sich für ein Dienstmädchen interessierte. Dennoch kam sie der Bitte erfreut nach. »Mein Vater arbeitet im Tuchgeschäft von Hinokiya. Einer der Ermittler des sōsakan-sama ist dort Kunde. Er und mein Vater freundeten sich an, und der Ermittler hat mir dann die Stelle als Kindermädchen von Masahiro- chan beschafft. Eigentlich wollte ich nicht gern als Dienstmädchen arbeiten. Ich würde lieber einen wohlhabenden Mann heiraten. Aber die Arbeit ist nicht schwer, und es gefällt mir im Palast. Außerdem kann ich dort besser einen passenden Gemahl kennen lernen als zu Hause. Ich hoffe, ich finde einen Mann, der mir ein schönes Heim bietet, mir hübsche Kleider kauft und dafür sorgt, dass ich nicht mehr meinen eigenen Lebensunterhalt verdienen muss.«
Und wenn sie sich einen Samurai-Gefolgsmann der Tokugawa angeln könnte, würde sie auf der sozialen Leiter aufsteigen. Fürstin Yanagisawa war froh zu erfahren,
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