Der Verrat
scheut sich nicht, Beweise zu fälschen, die gegen Euch sprechen. Dieses zweite Tagebuch scheint mir seine Handschrift zu tragen. Hoshina wird gewiss noch mehr vermeintliche Beweise erfinden, um den Shōgun glauben zu machen, dass Ihr ein Verräter seid.«
Sano schürzte die Lippen. Er wusste, was Hirata im Sinn hatte: Sie sollten Hoshinas Beispiel folgen und ebenfalls Beweise fälschen, die für die Schuld Fujios, Momokos oder Schatzminister Nittas sprachen, um Sanos Ehre zu retten und Hoshinas Intrigenspiel zunichte zu machen.
Reikos Augen leuchteten auf. »Falsche Beschuldigungen schaden einem Toten weniger als einem Lebenden«, sagte sie, und in ihrer Stimme schwang verhaltene Hoffnung mit.
Dass sogar Hirata und Reiko solche Unredlichkeiten erwogen, ließ Sano erkennen, dass sie keinen anderen Rat wussten. »Ich habe auch schon daran gedacht«, gab Sano zu. »Aber noch ist meine Verzweiflung nicht groß genug, um jemandem, der unschuldig sein könnte, eine Schuld zuzuschieben – ob die Person nun tot ist oder nicht. Außerdem gibt es noch eine andere Möglichkeit. Wir könnten in einem Bereich ermitteln, den wir bisher außer Acht gelassen haben.«
»Woran denkst du?«, fragte Reiko.
»An den Fürsten Mitsuyoshi persönlich«, erwiderte Sano.
Hirata zog die Stirn in Falten. »Aber der Shōgun hat doch verboten, Erkundigungen über Fürst Mitsuyoshis Leben und sein Umfeld einzuziehen.«
»Und ich würde sein Verbot nur ungern missachten.« Allein der Gedanke, sich seinem Herrn zu widersetzen, beschämte Sano. »Aber zwischen Mitsuyoshi und dem Mörder muss es irgendeine Verbindung geben. Wenn wir Erkundigungen über Mitsuyoshi und seine Verbündeten einziehen, bekommen wir gewiss neue Hinweise. Welche Möglichkeiten bleiben uns sonst?«
»Wir können weiterhin Erkundigungen über Fujio, Momoko und Schatzminister Nitta einholen. Vielleicht finden wir neue Beweise auf irgendeinem Gebiet, auf dem wir bereits ermittelt haben. Es könnten neue Verdächtige auftauchen. Oder wir finden Wisteries rätselhaften Liebhaber aus Hokkaido. Oder Polizeikommandeur Hoshina begeht irgendeinen Fehler.« Sano sah, dass Reiko und Hirata die Köpfe schüttelten. Offenbar bezweifelten sie, dass irgendetwas von dem eintrat, was er sich erhoffte.
»Mir scheint es den größten Erfolg zu versprechen, Erkundigungen über Fürst Mitsuyoshi einzuholen«, sagte Reiko.
»Aber wenn der Shōgun von Sano -sans Ungehorsam erfährt, wird er ihn dafür bestrafen«, mahnte Hirata.
»Dieses Wagnis muss ich eingehen«, erklärte Sano. »Wenn ich meine Unschuld nicht beweise, wird er mich ohnehin zum Tode verurteilen.«
»Vielleicht wird er Euch vergeben, wenn er begreift, dass Ihr kein Verräter seid«, sagte Hirata, der neue Hoffnung schöpfte.
Doch die Vorwürfe gegen Sano fielen stärker ins Gewicht als die Gunst, die er bisher bei Tokugawa Tsunayoshi genossen hatte. »Vielleicht können wir den Fall lösen, ohne dass der Shōgun herausfindet, dass ich mich seinen Anordnungen widersetzt habe – und bevor Hoshina oder unsere anderen Feinde uns noch mehr Schwierigkeiten bereiten«, sagte Sano.
Fürstin Yanagisawa stand allein in ihrem Gemach und wartete gespannt auf den einzigen Gast, den sie jemals eingeladen hatte.
Sie rang ihre kalten, verschwitzten Hände und atmete tief durch, um den Knoten der Angst in ihrem Magen zu lösen. Der Gedanke, dass die Unantastbarkeit ihres Gemachs zerstört wurde, gefiel ihr nicht, und sie fürchtete sich davor, eine Frau zu empfangen, die ihr so gut wie fremd war. Aber sie musste die Besucherin hier empfangen, in der Privatsphäre, die das Gespräch erforderte.
Ihre erste Dienerin erschien in der Tür. »Ein junges Mädchen wünscht, Euch zu sprechen. Herrin.«
Fürstin Yanagisawas Herz zog sich zusammen, während sie das heftige Verlangen unterdrückte, davonzulaufen und sich zu verstecken. »Führe sie herein«, wies sie die Dienerin an.
Ihre Entschlossenheit entfachte ihren Mut. Gegen Reiko hatte sie bereits etwas unternommen, doch es war zu ungewiss, welche Folgen dieser Schritt nach sich zog. Wenn Fürstin Yanagisawa die Waage des Schicksals zu ihren Gunsten neigen wollte, musste sie trotz des Bedauerns über die Bosheit gegen ihre Freundin beharrlich bleiben.
O-hana, Reikos Kindermädchen, betrat das Gemach. Sie trug einen eleganten roten Kimono, der mit schwarzen, schneebedeckten Zweigen bedruckt war. Trotz ihres bescheidenen Auftretens und ihrer zögernden Schritte konnte sie ihre
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