Der Verrat
weiteren Schritt auf ihrem Feldzug gegen Reiko getan hatte und weil ihr letztendlicher Sieg – den sie anzweifelte – sie um Reikos Freundschaft bringen würde. Und dieser Verlust überschattete ihr Inneres schon jetzt wie eine düstere Wolke, die Dunkelheit und Einsamkeit brachte.
Mit kalter Stimme erteilte sie ihrer neuen Komplizin Befehle. »Geh jetzt. Ich schicke jemanden zu dir, dem du über Reiko -sans Tun berichten wirst. Bald bekommst du weitere Anweisungen.«
28.
F
ürst Mitsuyoshis Familie lebte in einem gesonderten Bereich des Palasts zu Edo, der bedeutenden Mitgliedern des Tokugawa-Klans vorbehalten war. Sano und zwei Ermittler schritten über die gepflasterten Gassen und zwischen den gepflegten Waldstücken hindurch, die dazu dienten, die von Gärten und Mauern umschlossenen Villen voneinander zu trennen. Dieser Teil des Palastgeländes, in dem man außer den Posten an den Toren der Villen kaum jemanden antraf, schien weit vom turbulenten, brodelnden Leben der Stadt entfernt zu sein.
Graue Wolken zogen über den Himmel, doch Sano schöpfte aus der frischen, nach Kiefern duftenden Luft Hoffnung. Vielleicht wartete die Lösung seines Problems im Innern der Villa von Fürst Matsudaira, dem Vater Mitsuyoshis.
Nachdem er sich bei den Wachen am Tor vorgestellt hatte, wies er sie an: »Sagt Fürst Matsudaira, dass ich ihn sprechen muss.«
Die Wachen überbrachten Sanos Ersuchen. Umgehend erhielt er die Erlaubnis, das Anwesen zu betreten. Ein Bediensteter begleitete ihn und seine Ermittler in einen Empfangsraum, in dem Wachposten an den Wänden standen, während Fürst Matsudaira auf einem Podium saß.
»Warum seid Ihr hergekommen?«, fragte Matsudaira, ein kräftiger, stämmiger Mann. Er besaß die aristokratischen Züge des Shōgun, doch sein Gesicht war markanter, und seine Augen blickten wacher und klüger. Er trug einen prächtigen Umhang aus schwarzer Seide. Die geballten Hände in die Hüften gestemmt und von seinen Wachposten umringt, sah er wie ein General in einem Feldlager aus. Er warf Sano einen Blick zu, der diesen bestürzt erkennen ließ, dass der Fürst über die Beschuldigung, Sano habe seinen Sohn ermordet, bereits im Bilde war.
Sano verneigte sich hastig und stieß hervor: »Bevor ich den Grund meines Besuches darlege, erlaubt mir bitte, Euch mein Mitgefühl zum Verlust Eures Sohnes auszusprechen.«
Fürst Matsudaira ließ die Hände sinken, neigte den Kopf und starrte Sano an, als könnte er nicht glauben, was er soeben gehört hatte. »Wie könnt Ihr es wagen! Ich werde geheucheltes Mitleid von dem Mann, der Mitsuyoshi getötet hat, nicht entgegennehmen!«
»Es ist nicht, wie Ihr glaubt. Ihr seid falsch unterrichtet worden«, erwiderte Sano, während seine Ermittler sich schützend um ihn drängten. »Ich habe Mitsuyoshi- san nicht getötet.«
»Das sagt Ihr «, entgegnete Fürst Matsudaira. »Hier im Palast heißt es, Ihr wärt der Täter. Glaubt Ihr, ich wüsste nicht, dass der Shōgun Euch des Mordes beschuldigt hat?« Ekel und Hass verzerrten sein Gesicht, als er einen Schritt auf Sano zuging. »Und ich weiß auch von dem Tagebuch, in dem Eure Verschwörung gegen meinen Sohn und den Shōgun beschrieben wird. Polizeikommandeur Hoshina hat es mir heute Morgen gesagt.«
Hoshina hatte sich offensichtlich sehr beeilt, die Nachricht zu verbreiten, damit sich die öffentliche Meinung gegen Sano wandte und Mitsuyoshis Familie ihm nicht bei seinen Ermittlungen half.
»Dieses Tagebuch ist eine Fälschung«, sagte Sano. »Kommandeur Hoshina selbst ist der Urheber der Anschuldigungen. Es ist kein Geheimnis, dass er mich vernichten will.«
Fürst Matsudaira tat Sanos Erklärung mit einer kurzen Handbewegung als bloße Entschuldigung ab. »Der Shōgun, der Kammerherr, der Älteste Staatsrat und der Polizeikommandeur halten Euch für einen Mörder und Verräter. Das ist Beweis genug für mich.«
»Der Shōgun hat mich trotz des Tagebuchs und Hoshinas Verleumdung noch nicht für schuldig befunden«, verteidigte Sano sich. »Tokugawa Tsunayoshi hat mir erlaubt, die Ermittlungen in dem Mord an Eurem Sohn fortzusetzen und meine Unschuld zu beweisen.«
»Nur Eure listige Zunge hat Euch vor der Hinrichtung bewahrt«, sagte Fürst Matsudaira geringschätzig. »Doch ich werde meinen Einfluss und meine Macht einsetzen, um dafür zu sorgen, dass Ihr sterben müsst!« Der Fürst schritt zum Rand des Podiums, hob seine linke Faust Sano entgegen und legte die rechte auf den Griff seines
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