Der Verrat
dessen Gesellschaft wünschte. Schließlich verweigerte sein Vater ihm jede finanzielle Unterstützung, sodass er sich seine Ausschweifungen nicht mehr leisten konnte.«
»Mitsuyoshi- san schenkte dem Shōgun nun mehr Aufmerksamkeit, weil er die Chance auf dessen Nachfolge nicht verspielen wollte. Dennoch gingen wir weiterhin zusammen in Teehäuser und Bordelle, wo er oft kostenlos bedient wurde, weil er zum Tokugawa-Klan gehörte und der Günstling des Shōgun war. Dann aber bekam er in einer Spielhölle in Nihonbashi Schwierigkeiten. Die Besitzer dort sind brutale Schläger und Schurken.«
Sano spürte eine plötzliche innere Unruhe; er ahnte, dass er einen wichtigen Hinweis bekommen würde. »Hat er dort Geld verloren?«
Wada nickte mit grimmiger Miene. »Mitsuyoshi- san hätte sich nicht mit diesen Verbrechern einlassen dürfen, doch er liebte den Nervenkitzel in Edos Unterwelt. Aber niemals hätte er Schulden machen dürfen, denn diese Leute sind gefährlich. Der Besitzer der Spielhölle ist ein brutaler rōnin , der nichts und niemanden fürchtet, nicht einmal die Tokugawa. Als Mitsuyoshi- san eines Nachts mit mir in der Stadt war, lauerte der rōnin uns auf und verlangte von Mitsuyoshi- san , die Schulden bei ihm und seinen Freunden zu begleichen. Als Mitsuyoshi sagte, er könne nicht zahlen, drohte der rōnin , ihn zu töten.«
Endlich hatte Sano einen Verdächtigen, der im Gegensatz zu den drei zum Tode Verurteilten wirklich Grund zu der Hoffnung gab, den Fall bald lösen zu können. Sano geriet in Hochstimmung. »Wann hat der rōnin diese Drohung ausgestoßen?«
»Vor zwei Monaten.« Wada dachte kurz nach. »Aber der rōnin hatte Mitsuyoshi- san schon gehasst, bevor der ihm Geld schuldete. Es gab eine Fehde zwischen den beiden.«
»Hat Mitsuyoshi- san seine Schulden bezahlt?«, fragte Sano mit wachsender Erregung.
»Soviel ich weiß, nicht.« Nach einer Pause fügte Wada hinzu: »Obwohl Schatzminister Nitta des Mordes überführt wurde und nun Ihr des Mordes beschuldigt werdet, frage ich mich, ob dieser rōnin nicht mit Mitsuyoshis Tod zu tun haben könnte.«
Diese Frage stellte Sano sich ebenfalls. Dennoch musste er zunächst herausfinden, ob der rōnin Mitsuyoshi getötet haben könnte.
»Ich wäre schon eher gekommen, um bei Euch oder der Polizei eine Aussage über den rōnin zu machen«, fuhr Wada fort, »aber mein Herr will nicht, dass der Ruf seines Sohnes leidet. Und als der Schatzminister überführt worden war, dachte ich, der Mörder sei gefasst und ich müsse nicht mehr aussagen.« Er ließ den Kopf sinken. »Es tut mir Leid.«
Sano empfand keine Wut auf den Wachposten, der Informationen zurückgehalten hatte, denn er wusste um die Stärke der Bindung an einen Herrn, dem man verpflichtet war. Und deshalb wusste Sano auch, unter welch heftigen Schuldgefühlen Wada nun litt, da er die Treuepflicht gegenüber dem Herrn um der Wahrheit willen verletzt hatte.
»Ich möchte die Unannehmlichkeiten wieder gutmachen, die ich verursacht habe, indem ich Euch alles sage, was ich weiß«, sagte Wada ernst. »Der rōnin war in der Mordnacht in Yoshiwara. Als ich mit Mitsuyoshi- san ins ageya ging, wo er mit Kurtisane Wisterie verabredet war, sah ich den rōnin draußen in der Menge stehen.«
Voller Hoffnung atmete Sano die frische, belebende Luft. Er schöpfte wieder Mut, denn nun hatte er einen neuen Verdächtigen und damit die Möglichkeiten, seine Ermittlungen weiterzuführen.
»Wer ist dieser rōnin , und wo kann ich ihn finden?«, fragte Sano. Am liebsten wäre er auf die Knie gefallen und hätte den Göttern für die unerwartete Möglichkeit gedankt, nun doch noch beweisen zu können, dass er kein Mörder und Verräter war.
»Ich kann Euch zu der Spielhölle führen, wenn Ihr wünscht«, erbot sich Wada, »aber den richtigen Namen des rōnin weiß ich nicht. Er wird von allen nur Himmelsfeuer genannt.«
29.
D
as Badehaus, in dem Yuya arbeitete, lag in der Nähe eines Kanals, der durch ein Elendsquartier im Händlerviertel Nihonbashi führte. Reiko spähte durch das Fenster ihrer Sänfte auf baufällige Häuser, auf deren Balkonen schreiende Kinder balgten und in deren Türeingängen sich alte Menschen drängten. Eine Horde griesgrämiger Frauen gab den Weg frei, damit die Sänfte und Reikos berittene Wachposten den Markt passieren konnten. Irgendwo brannte stinkender Müll. Auf dem Kanal, einem schlammigen Strom, der träge zwischen den Steindämmen hindurchfloss, wimmelte es von
Weitere Kostenlose Bücher