Der Verrat
Opfern zählte. Zudem barg das Lagerhaus die Lösung des Mordfalls.
Sano schritt dem Verhängnis entgegen, das über seinem Kopf schwebte.
Die Wachen vor Sanos Villa öffneten das Tor für Kikuko und das Dienstmädchen Rumi.
Kikuko hüpfte unbekümmert über den Hof auf das große Haus zu. Sie war glücklich, weil sie dieses Haus mochte. Der kleine Junge und seine Mutter lebten hier. Der Junge war so lustig wie eine Puppe, die laufen und sprechen konnte. Und seine Mutter war sehr hübsch. Kikuko mochte sie beide. Das Mädchen freute sich so sehr, wieder hierher zu kommen, dass es ein fröhliches Lied sang.
Eine Frau öffnete die Tür und trat auf die Veranda. Es war das Kindermädchen des kleinen Jungen. Kikuko mochte die Frau nicht. Ihr Gesicht besaß etwas Böses, sogar wenn sie lächelte, und jetzt lächelte sie nicht. Sie sah verstört und traurig aus. Mama war oft traurig, und das machte Kikuko auch traurig. Aber ab heute würden sie immer glücklich sein. Das hatte Mama versprochen.
Das Kindermädchen führte Kikuko und Rumi in das große Haus, und sie zogen ihre Schuhe und Umhänge aus. Das Kindermädchen sagte zu Rumi: »Ihr könnt im Besuchszimmer warten.«
Sie nahm Kikuko an die Hand und führte sie durchs Haus. Kikuko folgte ihr bereitwillig, war aber verwirrt, weil das Haus heute so ruhig und verlassen war. Wo waren all die Leute? Kikuko stellte keine Fragen, weil das Kindermädchen sie ein wenig einschüchterte, obwohl Mama gesagt hatte, sie sei ihre Freundin. Kikuko freute sich, als sie endlich das Kinderzimmer des kleinen Jungen betraten.
Er saß allein auf dem Boden und spielte mit seinen Spielzeugtieren. Kikuko war enttäuscht, dass seine hübsche Mutter nicht da war, aber glücklich, den Jungen zu sehen.
»Guten Tag, guten Tag«, rief sie und sprang winkend auf und nieder.
Der kleine Junge lächelte. »Kiku«, stammelte er.
Sie lachten miteinander, und das Kindermädchen beobachtete sie einen Moment. Dann ging es davon. Kikuko dachte an das Spiel, das ihre Mutter ihr beigebracht hatte, und war froh, dass sie sich daran erinnerte. Sie wollte Mama nicht enttäuschen. Kikuko rannte durch das Kinderzimmer und ließ die langen Ärmel ihres rosafarbenen Kimonos flattern.
»Ich bin ein Schmetterling«, sagte sie zu dem kleinen Jungen. »Fang mich, fang mich!«
Masahiro lief ihr hinterher und kicherte vergnügt. Kikuko wich ihm immer wieder aus. Dann eilte sie zur Tür, die nach draußen führte, stieß sie auf und lief auf die Veranda.
»Fang mich!«, rief sie. »Fang mich!«
Der kleine Junge trottete hinter ihr her. Kikuko sprang die Treppe hinunter, und Masahiro krabbelte ihr nach. Der Garten war ein wunderschöner Platz zum Spielen, auch wenn heute ein kalter und bewölkter Tag war. Kikuko hüpfte um die Bäume, Büsche und Steine herum. Der Junge stolperte fröhlich kreischend hinter ihr her. Kikuko gefiel es, dass keine Erwachsenen da waren, die ihnen befahlen, leise zu sein. Das machte das Spiel noch viel lustiger.
Kikuko ließ ihren Blick durch den Garten schweifen und entdeckte den Teich, ein ovales Wasserbecken zwischen den winterkahlen Kirschbäumen. Sie lief zu dem Teich und blieb am Rand stehen. Das Wasser war dunkel, und auf der Oberfläche trieben die abgestorbenen braunen Blätter der Seerosen. Kikuko rümpfte vor Abscheu die Nase. Aber sie musste ihrer Mama gehorchen.
Der kleine Junge rannte mit ausgebreiteten Armen auf Kikuko zu. Er freute sich, weil er glaubte, sie nun endlich zu fangen. Kikuko zögerte, ehe sie ins Wasser stieg. Oh, war das kalt! Sie fröstelte, als sie nach dem ersten Schritt bis zu den Fußknöcheln im Teich stand. Der nächste Schritt führte sie in knietiefes Wasser.
Kikuko drehte sich zu dem kleinen Jungen um und rief: »Fang mich!«
Als Sano über die Schwelle des Lagerhauses trat, packten zwei Ganoven seine Arme und zogen ihn in einen großen, düsteren Raum, in dem es nach Stroh, Dünger und Rauch roch. Sano erhaschte einen flüchtigen Blick auf Lattenkisten, Pakete und Keramikurnen, die an drei Wänden aufgestapelt waren. An der vierten Wand befanden sich die Pferdeboxen. Die Ganoven zerrten Sano über den Steinboden zu einer Holztreppe, die zu einem großen Speicher im zweiten Stock führte. Himmelsfeuer stand oben an der Treppe. Wisterie kauerte neben ihm auf dem Boden. Sechs Ganoven hockten auf dem Speicher. Sie beobachteten Sano, der die Treppe hinaufstieg. Brennende Metalllaternen hingen an den Wänden des Speichers und warfen
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