Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Verrat

Der Verrat

Titel: Der Verrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rowland
Vom Netzwerk:
Mörder mit eigenen Händen hinzurichten!«
    Reiko, Sanos Gemahlin, lauschte dem Getuschel, wobei sie ihren kleinen Sohn Masahiro in den Armen hielt. Masahiro, mittlerweile fast zwei Jahre alt, konnte nicht begreifen, weshalb die Frauen so plötzlich das Interesse an ihm verloren hatten. Er zappelte und wand sich in Reikos Armen. »Nach Hause«, jammerte er, »nach Hause!«
    »Pst«, machte Reiko, denn sie wollte sich die Neuigkeiten über den Mord nicht entgehen lassen.
    Ihre Freundin Midori, eine der Hofdamen der Mutter des Shōgun, kam zu Reiko hinüber und kniete sich in ihrem roten Kimono neben sie. »Alle sagen, dass der sōsakan-sama den Mörder so schnell wie möglich ergreifen muss«, sagte Midori, atemlos vor Aufregung. Sie war achtzehn Jahre alt und von mädchenhafter Schönheit. »Wenn es ihm nicht gelingt, den Täter zu fassen …« Midori beendete den Satz nicht, doch ihre verängstigte Miene ließ deutlich genug erkennen, dass sie auf die Todesgefahr anspielte, die wie ein Schatten über Sano schwebte. »Oh, Reiko -san , das alles ist so schrecklich! Kann ich Euch helfen?«
    »Vielleicht«, erwiderte Reiko.
    Um sie herum nahmen das Getuschel und Geflüster ihren Fortgang: »Die Feinde von Fürst Mitsuyoshi sollten auf der Hut sein!« – »Jeder im bakufu hat Angst, als Mörder angeklagt und hingerichtet zu werden!« – »Keiner ist mehr sicher!«
    Reiko drückte ihren kleinen Sohn an sich, lauschte den Gerüchten über Verrat und Mord und Intrigen und hoffte im Stillen, Sano wieder bei dessen Ermittlungen helfen zu können, wie schon vor der Geburt Masahiros. Zwar ziemte es sich für eine Dame ihres Standes viel eher, sich um häusliche Dinge zu kümmern, statt in Verbrechensfällen zu ermitteln. Deshalb hatte Sano sich anfangs gesträubt. Doch rasch hatte er Reikos außergewöhnliche Fähigkeiten und ihren scharfen Verstand schätzen gelernt und ihre Hilfe immer öfter in Anspruch genommen.
    Reiko war das einzige Kind des Magistraten Ueda, der gemeinsam mit seinem Amtskollegen Aoki dafür verantwortlich war, in Edo Recht zu sprechen und die Ordnung aufrechtzuerhalten. Ueda hatte seiner Tochter eine Ausbildung zukommen lassen, wie sie üblicherweise nur einem Sohn vorbehalten war. So hatte Reiko in ihren Mädchenjahren den Kampf mit und ohne Waffen gelernt, hatte die Klassiker studiert und viel Zeit damit verbracht, im Gerichtssaal – verborgen in einer Kammer hinter dem Richterstuhl ihres Vaters – die Verhandlungen zu verfolgen, wobei sie sehr viel über Verbrechen und Verbrecher lernte. Zwar war Reiko als Frau in ihren Freiheiten eingeschränkt, aber dies hatte auch seine Vorteile: Beispielsweise konnte sie sich verhältnismäßig leicht in einer Welt bewegen, die von Frauen dominiert wurde und in der es eine Fülle an Beobachtungen, Hinweisen und Zeugen gab, die männlichen Ermittlern meist nicht zugänglich waren, da diese Welt ihnen weitgehend verschlossen blieb.
    Reikos Netzwerk, das aus weiblichen Spitzeln bestand, von denen viele mächtigen Samurai-Klans angehörten, hatte Sano bei seinen Ermittlungen mehr als einmal die entscheidenden Hinweise verschafft und mit der Zeit eine einzigartige Partnerschaft zwischen ihm und Reiko hervorgebracht, die in den drei Jahren ihrer Ehe zu einer leidenschaftlichen Liebe gewachsen war.
    Dann aber hatten sich die Brandstiftung und der Dreifachmord im Tempel der Schwarzen Lotosblüte ereignet, und Reiko hatte für jene Seite Partei ergriffen, die von Sano bekämpft wurde, sodass aus den Ehepartnern Gegner geworden waren. Die Ermittlungen hatten sich schließlich in eine erbitterte Schlacht zwischen Reiko und Sano verwandelt, die beinahe ihre Ehe zerstört hätte und deren Nachwirkungen ihnen beiden noch immer zu schaffen machten.
    Zwar hatten sie einander geschworen, solche Feindseligkeiten in Zukunft zu vermeiden, aber das war leichter gesagt als getan. Seit drei Monaten hatten sie bei Sanos Ermittlungen nicht mehr zusammengearbeitet, wofür es zwei Gründe gab. Zum einen lag es daran, dass Reiko von Selbstzweifeln geplagt wurde. Sie hatte ihren Ahnungen und Gefühlen stets vertrauen können – bis ihr bei den Ermittlungen gegen die Sekte der Schwarzen Lotosblüte eine schreckliche Fehleinschätzung unterlaufen war. Zwar hatte sie ihren Fehler gutgemacht, doch seitdem zweifelte sie an sich selbst und ihrer Menschenkenntnis.
    Der zweite und gewichtigere Grund aber waren die noch immer spürbaren Nachwirkungen ihrer heftigen Auseinandersetzungen mit Sano.

Weitere Kostenlose Bücher