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Der Verrat

Der Verrat

Titel: Der Verrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rowland
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Anschließend gingen die Frauen eine nach der anderen an den hohen Besucherinnen vorbei und begrüßten sie ehrerbietig. Währenddessen betrachtete Reiko die Fürstin mit unverhohlener Faszination; viele Jahre lang hatte sie sich gefragt, wie die Frau jenes Mannes aussah, der Sanos erbittertster Feind gewesen war, ihn behindert hatte, wo er nur konnte, und nicht einmal davor zurückgeschreckt war, Meuchelmörder auf Sano anzusetzen.
    Als Reiko schließlich an der Reihe war, vor Fürstin Yanagisawa hinzutreten, nahm sie Masahiro an der Hand und ging mit ihm zur Nische. Beide knieten nieder und verneigten sich, während ein Diener sie vorstellte.
    Fürstin Yanagisawas ausdrucksloser, starrer Blick schien durch Reiko hindurchzugehen. »Es ist mir eine Ehre, Euch kennen zu lernen«, sagte sie mit leiser, heiserer Stimme.
    »Die Ehre ist ganz auf meiner Seite«, entgegnete Reiko und bemerkte erst jetzt, dass die Fürstin keine Schminke trug; nur die Augenbrauen waren aufgemalt, wie bei vornehmen Damen üblich, was in Fürstin Yanagisawas Fall einen ihrer wenigen äußeren Vorzüge hervorhob: ihre makellose, perlweiße Haut.
    Masahiro musterte die fremde Frau mit solch unbefangener kindlicher Neugier, dass ein flüchtiges Lächeln die ausdruckslose Miene der Fürstin erhellte. Dann streckte er die pummeligen kleinen Hände nach Kikuko aus. »Guten Tag, guten Tag!«, rief er ihr zu.
    Kikuko kicherte, wandte sich ihrer Mutter zu und sagte mit eigentümlich hoher, kindlicher Stimme: »Siehst du Junge, Mama? Netter Junge. Lustig.« Als sie lächelte, lief ihr Speichel aus den Mundwinkeln übers Kinn.
    Kikukos Stimme klang viel zu jung für ihr Alter, und auch ihr Verhalten entsprach nicht dem einer Achtjährigen. Erschrocken erkannte Reiko, dass die Tochter des Kammerherrn geistig zurückgeblieben war. Für einen Moment herrschte betretenes Schweigen; dann sagte Reiko, um das Gespräch wieder in Gang zu bringen: »Eure Tochter ist wunderschön, ehrenwerte Fürstin.«
    »Habt Dank für das freundliche Kompliment«, sagte Fürstin Yanagisawa und seufzte, als sie beobachtete, wie Kikuko und Masahiro fröhlich kichernd durch den Saal tollten. »Nur befürchte ich leider, dass Kikuko niemals erwachsen wird.«
    Reiko empfand Mitleid für diese blasse, unscheinbare Frau und dankte im Stillen den Göttern für das Glück, ein gesundes Kind zu haben. »Masahiro freut sich sehr, dass Kikuko mit ihm spielt.«
    »Ja …« Fürstin Yanagisawa beobachtete ihre Tochter. »Ich bin glücklich, dass ich sie habe.« In ihrer sonst so ausdruckslosen Stimme lag plötzlich ein zärtlicher Beiklang. »Kikuko ist ein liebevolles, artiges und gehorsames Mädchen … trotz allem anderen.«
    Reiko fragte sich einen Moment lang, was die Fürstin damit meinte. Trotz Kikukos Geistesschwäche? Trotz ihres Vaters, dem Kammerherrn Yanagisawa?
    Der Kammerherr war ein rücksichtsloser und eigensüchtiger Mann, der dem Shōgun immer mehr Macht entzog, um seinen eigenen Einfluss auszuweiten, und der seine Gegner brutal beseitigen ließ. Wusste die Fürstin davon? Und fragte sie sich, ob Kikukos Behinderung eine Strafe des Himmels für die Schandtaten ihres Vaters, des Kammerherrn, war?
    Doch die Gebote der Höflichkeit untersagten es Reiko, der Fürstin solch persönliche Fragen zu stellen. »Kikuko- chan ist das genaue Abbild ihres Vaters«, sagte sie stattdessen.
    »Ihr Vater … ja.«
    Die Miene Fürstin Yanagisawas war mit einem Mal wieder so ausdruckslos wie ihre Stimme. Reiko vermutete, dass die Ehe zwischen dem Kammerherrn und dieser farblosen Frau aus gesellschaftlichen, politischen oder wirtschaftlichen Gründen geschlossen worden war, was für viele Ehen galt. Ob die Fürstin ihren Gemahl dennoch liebte? Yanagisawa war trotz aller Fehler und Schwächen ein unbestreitbar anziehender Mann, sodass viele Frauen ihn begehrten, obwohl es ein offenes Geheimnis war, dass er Männer bevorzugte. Die Tatsache, dass Yanagisawa der langjährige Geliebte des Shōgun war, hatte sehr zu seinem kometenhaften Aufstieg innerhalb des bakufu beigetragen. Wahrscheinlich wusste Fürstin Yanagisawa auch von der Affäre ihres Mannes mit Polizeikommandeur Hoshina, der sogar in ihrer palastähnlichen Villa wohnte. Doch auch die Ehe Yanagisawas mit der Fürstin stand offenbar nicht bloß auf dem Papier, wie ihre gemeinsame Tochter bewies.
    Reiko konnte nicht leugnen, dass das Privatleben dieses Paares ihre Neugier erweckte.
    Masahiro hatte derweil ein Essstäbchen ergriffen und

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