Der Verrat
Ihr ihn getötet. Nach der Tat seid Ihr die Treppe hinuntergerannt und habt so getan, als hättet Ihr den Toten gerade erst entdeckt.«
»Nein, Herr, so war es nicht.« Obwohl ihre Angst nicht zu übersehen war, lächelte Momoko und versuchte, den Polizeikommandeur durch verführerische Blicke zu umgarnen und von seinem Verdacht abzulenken. »Sehe ich wie eine Mörderin aus? Ich habe den Fürsten nicht getötet, Herr, das müsst Ihr mir glauben!«
Sano starrte die Männer zornig an. Er benötigte Momokos Informationen und keine Einschüchterungen, die ein verzweifeltes Leugnen zur Folge hatten. So würde er niemals weiterkommen. » Ich führe diese Vernehmung, Hoshina- san «, sagte er. »Mischt Euch nicht ein, oder Ihr müsst das Zimmer verlassen.«
Hoshina machte sich gar nicht erst die Mühe, darauf zu antworten. »Nehmt sie fest!«, befahl er Yamaga und Hayashi.
Die yoriki näherten sich Momoko, die auf den Knien nach hinten robbte und verzweifelt rief: »Nein! Ich bin unschuldig! Ich habe nichts Böses getan!«
Sano stellte sich zwischen Momoko und die näher rückenden Männer und starrte Hoshina zornig an. »Was wir gegen Momoko vorbringen können«, sagte er, »ist noch längst kein Beweis, dass sie Fürst Mitsuyoshi ermordet hat!«
»Für eine Verurteilung reicht es«, entgegnete Hoshina kalt.
Sano wusste, dass sein Widersacher Recht hatte. Im Rechtssystem der Tokugawa endeten fast alle Anklagen mit einem Schuldspruch, wobei die »Beweise« manchmal noch dürftiger waren als in Momokos Fall. Deshalb musste Sano unbedingt dafür sorgen, dass die yarite gar nicht erst vor Gericht gestellt wurde, solange ihre Schuld nicht eindeutig feststand. »Momoko hat kein erkennbares Motiv, Fürst Mitsuyoshi umzubringen«, sagte er. »Ihr werdet sie nicht verhaften. Jedenfalls nicht, solange ich diese Vernehmung nicht beendet habe – und auch nur dann, wenn sich dabei ihre Schuld herausstellt!«
Polizeikommandeur Hoshina grinste verächtlich. »Ich selbst werde die Vernehmung zu Ende führen – im Stadtgefängnis!«
Im Gefängnis zu Edo wurden die Häftlinge durch Folter zum Reden gebracht, wie Sano nur zu gut wusste. »Erzwungene Geständnisse sind nichts wert!«, stieß er hervor. Hoshinas Überheblichkeit und sein maßloser Ehrgeiz trieben Sano zur Weißglut: Natürlich kannte auch der Polizeikommandeur die Fehler und Schwächen der Tokugawa-Gesetze, doch er war so versessen darauf, Sano zu übertrumpfen und Eindruck auf seine Vorgesetzten zu machen, dass er dafür ein Fehlurteil und die Hinrichtung einer Unschuldigen in Kauf nahm. »Außerdem haben die Ermittlungen gerade erst angefangen«, fuhr Sano fort. »Hinter diesem Mord verbirgt sich vielleicht mehr, als es bis jetzt den Anschein hat, und mit Sicherheit stoßen wir auf weitere Verdächtige. Vergesst nicht, dass Fürst Mitsuyoshi der Erbe des Shōgun war und viele Feinde und Neider hatte.« Sano sah, wie Momokos Blicke gehetzt zwischen ihm und Hoshina hin- und herhuschten, wobei sich in ihren Augen Furcht und Hoffnung abwechselten. »Wir müssen Kurtisane Wisterie suchen und sie vernehmen – und sämtliche Personen, die sich gestern Abend in Yoshiwara aufgehalten haben. Und das braucht Zeit.«
»Ein Grund mehr, schnell und entschlossen zu handeln«, entgegnete Hoshina. »Wir wissen beide, was uns droht, wenn wir dem Wunsch des Shōgun nicht nachkommen und ihm nicht schleunigst den Täter vorweisen.«
Das wusste Sano nur zu gut. Tokugawa Tsunayoshi würde jeden mit Tod oder Verbannung bestrafen, der an den Ermittlungen beteiligt war.
»Erwartet also nicht, dass ich Eurem schlechten Beispiel folge und die Ermittlungen hinauszögere«, fuhr Hoshina fort. »Alles spricht dafür, dass diese Frau schuldig ist. Ich erweise Euch einen Gefallen, wenn ich Druck auf sie ausübe, damit sie ihr abscheuliches Verbrechen schneller gesteht!«
Hoshina nickte seinen Untergebenen zu. Sie packten die yarite bei den Armen und zerrten sie hoch. Momoko wehrte sich nicht, zitterte vor Angst jedoch am ganzen Leib. In ihren Augen spiegelte sich nacktes Entsetzen, als sie sich an Sano wandte. »Was ich Euch über gestern Abend erzählt habe, ist die Wahrheit, Herr! Ihr glaubt mir doch, nicht wahr? Ich flehe Euch an, lasst nicht zu, dass diese Männer mich fortbringen!«
Sano fühlte sich hin- und hergerissen zwischen der Pflicht und dem Mitgefühl. Einerseits brannte in ihm der Wunsch, eine gründliche und gerechte Ermittlung zu führen; auf der anderen Seite musste er
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