Der Verrat
vorgestern gemacht habt«, sagte Sano. »Beginnt mit Eurer Ankunft in Yoshiwara.«
»Meine Leute und ich sind am späten Abend dort eingetroffen. Dann haben wir uns zum Owariya begeben, weil ich dort eine Verabredung mit einer Kurtisane hatte.« Nittas Erklärungen hörten sich an, als hätte er sie vorher geprobt; alles klang eingeübt, und er redete mit der angespannten Stimme eines Mannes, der sehr genau wusste, dass ein falsches Wort ihm zum Verhängnis werden konnte. »Nach meiner Ankunft im Owariya erfuhr ich, dass ein anderer Mann eingetroffen war und die Dienste der Kurtisane wünschte, und so bat man mich, das Recht auf die Nacht mit der Kurtisane an diesen Mann abzutreten, wie es üblich ist. Ich befolgte die Gebote der Höflichkeit und erklärte mich einverstanden. Daraufhin haben meine Leute und ich uns ins Gesellschaftszimmer begeben, wo wir an einer Feier teilnahmen. Doch nach einiger Zeit fiel mir ein, dass ich mich am nächsten Morgen in der Stadt um geschäftliche Dinge kümmern musste; deshalb beschloss ich, die Feier zu verlassen. Ich habe die Wachmänner am Tor bezahlt, damit sie mich und meine Leute durchließen, obwohl bereits Sperrstunde war.« Er hielt kurz inne und fügte dann hinzu: »Die Wachen zu bestechen und Yoshiwara nach Beginn der Sperrstunde zu verlassen ist gegen das Gesetz, ich weiß, aber so etwas ist an der Tagesordnung, und solche Kleinigkeiten bringen mich in keiner Weise mit dem Mord in Verbindung.«
Es verwunderte Sano nicht allzu sehr, dass der Schatzminister bei seiner Aussage belastende Einzelheiten weggelassen hatte. Zugleich aber empfand er es als Beleidigung seiner Berufsehre, dass Nitta offenbar von ihm erwartete, er würde ihm diese gekürzte Version der Geschichte glauben. Deshalb wurde Sano nun deutlicher.
»Aber was Ihr mir nicht erzählt habt, könnte Euch sehr wohl mit dem Mord in Verbindung bringen«, sagte er und bemerkte, wie Nittas Miene plötzlich wachsam und angespannt wurde. »Oder hättet Ihr mir von selbst erzählt, dass der Mann, an den Ihr Wisterie für die fragliche Nacht abgetreten habt, Fürst Mitsuyoshi gewesen ist, der Erbe des Shōgun?«
»Wieso? Ich halte das für unwichtig«, erwiderte Nitta und nippte gelassen an seiner Teeschale. »Einem anderen Mann den Vortritt zu lassen und ihm das Recht auf die Nacht mit einer tayu abzutreten ist in Yoshiwara alltäglich. Die Vorstellung, ein Mann könnte einen anderen umbringen, nur weil der ihm bei einer Kurtisane zuvorgekommen ist, ist lächerlich!«
»Aus Rivalität um die Gunst einer Kurtisane wurde schon mehr als ein Mann getötet«, erwiderte Sano und dachte an die vielen Duelle, die in den vergangenen Jahren ausgefochten worden waren. »Und in diesem Fall war Wisterie diese Kurtisane – jene Frau, die Ihr so sehr liebt, dass Ihr sie für lange Zeit im Voraus bezahlt habt, ob Ihr nun bei ihr seid oder nicht, weil Ihr nicht wollt, dass ein anderer Mann sie anrührt.«
In einer unwilligen Geste fuhr Nitta mit der Hand durch die Luft. »Manche Leute haben offenbar nichts Besseres zu tun, als dummes und lügenhaftes Geschwätz zu verbreiten. Ja, es stimmt, dass ich vorgestern Abend nach Yoshiwara geritten bin, um die Nacht mit Wisterie zu verbringen, und es trifft auch zu, dass ich ihr Gönner bin, aber sie ist bloß eine Prostituierte und obendrein nur eine von vielen, deren Dienste ich in Anspruch nehme!« Ein selbstgefälliges Lächeln huschte über seinen schmallippigen Mund, und Sano erkannte, dass Nitta zu den Männern zählte, die sich gern ihrer sexuellen Potenz rühmten und junge, schöne Frauen brauchten, um ihre Lust und den eigenen Stolz zu befriedigen. »Ich liebe Wisterie nicht, und ich bin ihretwegen auch nicht eifersüchtig. Ihr solltet es eigentlich besser wissen, als solch dummes Geschwätz zu glauben, sōsakan-sama .«
Sano spürte, wie seine Geduld zu Ende ging; Zorn loderte in ihm auf wie am Abend zuvor, als der Shōgun ihn beschimpft hatte. Er musste sich zwingen, Ruhe zu bewahren: Gegenüber einem Tatverdächtigen die Beherrschung zu verlieren würde den Nachforschungen schaden. Außerdem wollte er Nitta nicht noch mehr reizen, als er es ohnehin schon getan hatte. Schließlich war die Schuld dieses Mannes so wenig bewiesen wie die Momokos. »Demnach hat es Euch nichts ausgemacht, dass Wisterie mit Fürst Mitsuyoshi geschlafen hat?«
»Überhaupt nicht.«
»Ihr wart nicht zornig, dass Fürst Mitsuyoshi Euren platz eingenommen hatte?«
»Kein bisschen.« Nitta stellte
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