Der Verrat
seine Teeschale ab und erhob sich. Er wandte sich von Sano ab und betrachtete eines der Landschaftsgemälde auf einem Wandschirm, die Hände in die Hüften gestemmt, die Schultern gestrafft.
»Weshalb wart Ihr dann so wütend, Wisterie für die Nacht an Fürst Mitsuyoshi abgetreten zu haben, dass Ihr mit dem Besitzer des ageya deswegen in Streit geraten seid?«, fragte Sano.
Nitta fuhr herum. Auf seinem plötzlich angespannten Gesicht spiegelte sich Wachsamkeit. »Wer hat Euch das erzählt?«, fragte er, und plötzlicher Zorn loderte in seinen Augen. »Makino, nicht wahr? Dieses alte Klatschmaul! Er war ebenfalls auf der Feier im ageya . Offenbar hat er wieder einmal gelauscht, habe ich Recht?« Wenngleich Sano nicht zu erkennen gab, ob Nittas Vermutung zutraf, nickte der Schatzminister überzeugt. »Ich muss Euch warnen. Glaubt lieber nicht, was Makino über mich erzählt. Vor einigen Jahren hat er mich um ein Darlehen in beträchtlicher Höhe aus der Staatskasse gebeten. Ich habe abgelehnt, denn Makino ist hoch verschuldet. Seitdem sind wir Feinde.«
Hatte Makino deshalb gelogen? Aus Rache, um Nitta als Schuldigen hinzustellen? Sano hatte bisher nicht von der Feindschaft zwischen dem Schatzminister und dem Vorsitzenden des Ältesten Staatsrats gewusst – was erstaunlich war, denn Zwistigkeiten zwischen solch hochrangigen Männern waren kaum geheim zu halten. Doch Nitta stand in dem Ruf, einer der wenigen ehrlichen Beamten innerhalb der korrupten Bürokratie des bakufu zu sein.
»Ja, ich habe mit dem Besitzer des ageya gestritten«, sagte Nitta, »aber nicht, weil ich wegen Wisterie verärgert gewesen wäre oder aus Wut auf Fürst Mitsuyoshi. Es ging mir ausschließlich ums Geld. Schließlich hatte ich für die Nacht mit Wisterie bezahlt – und Fürst Mitsuyoshi ebenfalls. Deshalb bat ich den Besitzer, mir das Geld zurückzuzahlen, doch er weigerte sich mit der Begründung, es sei in solchen Fällen üblich, das Geld beider Kunden zu behalten.« Nitta verzog den Mund, als hätte er einen unangenehmen Geschmack auf der Zunge. »Dieser gierige Gauner! Ich habe die Beherrschung verloren und ihm gedroht, sein Bordell schließen zu lassen. Daraufhin erklärte er sich einverstanden, mir zum Ausgleich für die verlorene Nacht mit Wisterie bei meinem nächsten Besuch im ageya nichts zu berechnen.«
Allmählich überkamen Sano Zweifel an der Aufrichtigkeit des Ministers, und er war mehr und mehr geneigt, Makinos Geschichte Glauben zu schenken. Was Nitta erzählte, erschien ihm unwahrscheinlich. Ein Samurai gab nichts um Geld; er betrachtete es als schmutziges, notwendiges Übel. Ein Mann, der so reich und mächtig war wie Schatzminister Nitta, hätte den Verlust einer viel größeren Summe als den Preis für die Nacht mit einer tayu gar nicht zur Kenntnis genommen; erst recht hätte er deswegen keine Auseinandersetzung geführt.
»Und nach dem Streit mit dem Besitzer? Was habt Ihr dann getan?«, wollte Sano wissen.
»Ich bin noch auf ein paar Schalen Sake geblieben und habe mich gegen Mitternacht auf den Heimweg gemacht.«
»Ihr seid aus dem ageya direkt zum Tor gegangen, habt die Wachen bestochen und Yoshiwara verlassen?«
Nittas Blick wurde wachsam und forschend, als wollte er in Sanos Gesicht lesen, wie viel dieser bereits wusste. Doch Sanos Miene blieb undurchdringlich. Schließlich verzog Nitta das Gesicht und seufzte.
»Nein, so war es nicht«, sagte er. »Ich befahl meinen Leuten, am Tor auf mich zu warten. Dann habe ich das ageya durch den Hintereingang betreten und bin die Treppe hinaufgestiegen, in der Hoffnung, einige Augenblicke mit Wisterie verbringen zu können. Ich wollte Yoshiwara nicht verlassen, ohne sie wenigstens gesehen zu haben.«
Röte schoss in Nittas bleiche Wangen – wie Blut, das auf jungfräulichen Schnee tropft. Es war das erste Anzeichen von Leidenschaft, das er zu erkennen gab. Sano wurde klar, dass der Schatzminister trotz seines Leugnens aufrichtige Gefühle für Wisterie gehegt hatte, die tiefer gingen als bloße fleischliche Lust.
»Ich bin zur Tür des Gemachs geschlichen, in dem Wisterie den Fürsten empfangen hatte, und habe gelauscht«, fuhr Nitta fort. »Fürst Mitsuyoshi war als starker Trinker bekannt. Deshalb hoffte ich, er sei eingeschlafen, sodass ich mit Wisterie reden könnte.«
Sano stellte sich die skurrile Szene vor, wie der mächtige Schatzminister vor dem Gemach gelauert hatte, von Eifersucht und Begierde erfüllt, und sich nach seiner Geliebten verzehrte,
Weitere Kostenlose Bücher